Article: Zur Funktionalität infiniter Konstruktionen

Published in: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 62 (2001), 151-16

Zur Funktionalität infiniter Konstruktionen in der französischen Rechts- und Verwaltungssprache
Thomas Tinnefeld (Göttingen)


Vorwort

Im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen drei infinite Konstruktionen des Französischen, die in der Rechts- und Verwaltungssprache zwar bedeutungsvoll sind, jedoch in der Fachsprachenforschung nicht hinreichend Berücksichtigung finden. Es handelt sich zum einen um die Partizipialkonstruktionen – also die participe présent- und die participe passé-Konstruktion -, zum anderen um die Adjektivkonstruktion. Im folgenden wird es zunächst darum gehen, die Leistungen dieser Konstruktionen für die Fachsprache einzuschätzen. Im Anschluß daran werden wir uns der Frage widmen, inwieweit die hier untersuchten Konstruktionen in ausgewählten Lehrwerken zur französischen Rechts- und Verwaltungssprache berücksichtigt werden. Darauf aufbauend, werden Konsequenzen für den fachorientierten Fremdsprachenunterricht zu ziehen sein. Den Abschluß bildet ein Musterkapitel zur Adjektivkonstruktion aus einer noch zu schaffenden fachsprachlichen Grammatik der französischen Rechts- und Verwaltungssprache.


1. Die Konstruktionen und ihre Leistungen für die Fachsprache

1.1 Die Partizipialkonstruktionen

Die Partizipialkonstruktionen können grundsätzlich attributiv, adjunktiv und in absoluter Konstruktion verwendet werden. In allen diesen Verwendungen sind sie im vorliegenden Zusammenhang ausschließlich in satzwertiger Hinsicht von Interesse.

Die participe passé-Konstruktion tritt – diese Zahlen gehen aus meiner Dissertation (Tinnefeld 1993) hervor, der das Journal officiel, das französische Amtsblatt, auf der Basis von 2000 ausgezählten Sätzen zugrundegelegt wurde – insgesamt 1996 mal auf – also fast in jedem Satz eine participe passé-Konstruktion. Dies entspricht einem relativen Anteil von 99.8. Damit ist sie etwa zweieinhalbmal so frequent wie die participe présent-Konstruktion (relativer Anteil:40.4). Da das participe présent im allgemeinen für das Aktiv, das participe passé dagegen für das Passiv steht, ist bei diesen beiden infiniten Konstruktionen eine klare Dominanz des Passivs gegenüber dem Aktiv zu konstatieren. Die französische Rechts- und Verwaltungssprache ist somit insgesamt durch eine ausgeprägte Passivität im Bereich der infiniten Formen geprägt. [1]

Im Rahmen der Partizipialkonstuktionen wird zunächst die participe présent-Konstruktion in attributiver Verwendung untersucht. In diesem begrunzten Rahmen können leider nur einige wenige ihrer Funktionen schlaglichtartig beleuchtet werden

Von großer Bedeutung ist sie in Überschriften von Gesetzestexten
Beispiel:

(1) Décret no 87-899 du 30 octobre 1987, autorisant le rattachement, par voie de fonds de concours, du produit des recettes provenant de l´aliénation de matériels informatiques, bureaucratiques et télématiques d´occasion faite par les ministères aux personnes privées ou publiques ne relevant pas du budget de l´Etat.
(J.O., L&D[2], 08.11.1987 13046)
[Anm des Verf.: In der Originalveröffentlichung sind die hier in den Beispielen kursiv gesetzten Elemente in unterstrichener Form dargestellt.]
Die Überschriften des Journal officiel repräsentieren ausnahmslos verblose Sätze. In ihnen wird mit Abstand am häufigsten die participe présent-Konstruktion verwendet. Ihr Gebrauch ist als ein wichtiges textuelles Merkmal der französischen Rechts- und Verwaltungssprache einzustufen. Die von der Partizipialkonstruktion ausgeübte Funktion ist hier diejenige der Informationsverdichtung: Der Inhalt von Gesetzestexten wird mit ihrer Hilfe in äußerst kondensierter Form dargebracht.

Ihr auch hier informationsverdichtender Charakter führt dazu, daß die participe présent-Konstruktion häufig in Aufzählungen steht und dort der Präzisierung der ausgedrückten Inhalte dient. Diese Verwendung kann man als ihre enumerativ-präzisierende Funktion bezeichnen.
Beispiel:
(2) <<>ayant obtenu, dans la discipline faisant l´objet du concours, une récompense d´un conservatoire national supérieur de musique, d´un conservatoire national de région ou d´une école nationale de musique ;
<<>pouvant, à défaut de ces diplômes, produire deux attestations de personnalités du monde musical certifiant qu´ils possèdent le niveau nécessaire pour se présenter au concours ;
<<>faisant l´objet du concours.>>
(J:O:, L&D, 29.11.1987)
Im Rahmen der einzelnen disjunktiv abgesetzten Textsegmente dienen die Partizipialkonstruktionen der Monosemierung der jeweils zu Beginn herausgestellten Nominalphrase. In dem zitierten Beispiel haben sie die Funktion der komplementären Restriktion der Unterschriftsvollmacht und die mit ihrer Hilfe ausgedrückten Sachverhalte somit unmittelbare Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis.

Das fachsprachliche Potential der participe passé-Konstruktion in der Verwendung als Zustandsbeschreibung tritt besonders bei der Feststellung von Zuständigkeiten zu. Man vergleiche hier beispielsweise den Unterschriftenteil eines Dekrets.
Beispiel
(3) Par le Premier ministre :
Le ministre délégué auprès du ministre
de l´éducation nationale, chargé de la recherche
et de l´enseignement supérieur
,
JACQUES VALADE
Le ministre d´Etat, ministre de l´économie,
des finances et de la privatisation,
EDOUARD BALLADUR
Le ministre de la culture et de la communication,
FRANÇOIS LÈOTARD
Le minstre des affaires étrangères
JEAN-BERNARD-RAIMOND
Le ministre de l´éducation nationale,
RENÈ MONORY
Le ministre délégué auprès du Premier ministre,
chargé de la fonction publique et du Plan
,
HERVÈ DE CHARETTE
Le ministre délégué auprès du ministre de l´économie,
des finances et de la privatisation,
chargé du budget
,
ALAIN JUPPE

(J.O., L&D, 27.08.1987, 9816)
Die Verwendung der participe passé-Konstruktion ist hier weitgehend auf die Partizipien délégué (Beschreibung der Position) und chargé (Beschreibung des Zuständigkeitsbereiches der jeweiligen Politiker) konzentriert. Diese Beschreibung erfolgt separat für jeden einzelnen Politiker, woraus sich eine Häufung von Partizipialkonstruktionen ergibt. Es liegen hier unübersehbare Redundanzen vor, die jedoch nicht sprachlich analysierbar, sondern ausschließlich auf dem Hintergrund der Notwendigkeiten der Erstellung französischer Gesetzestexte zu sehen sind. Diese Informationen müssen an den entsprechenden Stellen im Text erscheinen. Die Verwendung der participe passé-Konstruktion ist hier Ausdruck der Norm juristischer Texterstellung.

Bei der Verwendung der participe passé-Konstruktion mit Agens-Ergänzung sind die Agenzien in der Regel unbelebt.
Beispiel:
(4) Seul le texte français fait foi.
En foi de quoi, les soussignés dûment autorisés par leurs Gouvernements respectifs, ont signé la présente Convention.
(J.O., L&D, 03.09.1987, 10159)
Es liegt hier kein Personenbezug, sondern reiner Institutionsbezug vor. Aktiv Handelnde sind die genannten Einrichtungen. Die natürliche Person tritt in der Fachsprache nicht nur zugunsten der juristischen Person zurück, sondern auch zugunsten solcher Einheiten, die als nicht-menschlich einzustufen sind.

Die wesentliche fachsprachenspezifische Verwendung der absoluten participe passé-Konstruktion besteht in der Referierung auf bereits existierende und für den jeweiligen Gesetzestext relevante Verordnungen. Dabei sind der Anzahl der auf diese Weise verwendeten Partizipialkonstruktionen prinzipiell keine Grenzen gesetzt.

Beispiel:
(5) Le ministre de l´éducation nationale,
Vu le code de l´enseignement technique ;
Vu le code du travail, et notamment son livre IX ;
Vu la loi no 71-577 du 16 juillet 1971 d´orientation sur l´enseignement technologique ;
Vu la loi no 75-620 du 11 juillet 1975 relative à l´éducation:
Vu la loi de programme no 85-1371 du 23 décembre 1985 relative à l´enseignement technologique et professionnel ;
Vu le décret no 72-279 du 12 avril relatif à l´homologation des titres et des diplômes de l´enseignement technologique ;
Vu le décret no 72-607 du 4 juillet 1972 relatif aux commissions professionnelles consultatives ;
Vu le décret no 76-1304 du 28 décembre 1976 relatif à l´organisation des formations dans les lycées ;
Vu le décret no 87-852 du 19 octobre 1987 portant règlement général des certificats d´aptitude professionnelle dérivé par le ministre de l´éducation nationale ;
Vu l´arrêté du 20 août 1986 portant création du certificat d´aptitude professionnelle de montage-ajustage de systèmes mécaniques et automatisés ;
Vu l´arrêt du 11 janvier 1988 fixant les modalités de prise en compte des résultats du contrôle continu pour les candidats aux certificats d´aptitude professionnelle par la voie scolaire ;
Vu l´avis de la commission professionnelle consultative compétente ;

Arrête :
(J.O., L&D, 17.01.1988, 833)
In dieser Verwendung ist die participe passé-Konstruktion – bis auf ganz wenige Ausnahmen – auf das Partizip Vu beschränkt, dem sein Subjekt nachgestellt ist. Darauf folgen in der Regel weitere Angaben, beispielsweise die Nennung der Paragraphen bzw. der Ziffern relevanter Gesetzestexte oder Artikel - bis zu einer kurzen inhaltlichen Charakterisierung der Texte selbst. Die durch die Partizipialkonstruktion eingeleiteten Einheiten repräsentieren jeweils eine separate Verweisung und sind in den Trägersatz eingebettet. Dieser enthält die Nennung der für den Gesetzestext formal verantwortlich zeichnenden Person(en) und – durch ein performatives Verb ausgedrückt – den entsprechenden Verordnungsakt. Der Verweisungsteil ist eine juristische Notwendigkeit, ohne die kein Langtext des Journal officiel auskommen kann. In dem zitierten Beispiel liegen zwölf absolute participe passé-Konstruktionen vor. Die Klammerstruktur des Textes bleibt jedoch erhalten. Subjekt und Verb des sie umgebenden Trägersatzes weisen eine erhebliche Trennung voneinander auf.

Trotz dieser auf die allerwichtigsten Aspekte beschränkten Darstellung ist die erhebliche Funktionalität und das große Funktionspotential der in der französischen Rechts- und Verwaltungssprache verwendeten Partizipialkonstruktionen deutlich geworden.

1.2 Die Adjektivkonstruktion

Die satzwertige Adjektivkonstruktion wird aus einer ihr zugrundeliegenden Konstruktion von finitem Verb – meist être – und Adjektiv gebildet, wobei die finite Form getilgt wird.

Die Adjektivkonstruktion weist mit insgesamt 584 Formen in 2000 Sätzen – also einem relativen Anteil von 29.2 – eine deutlich geringere Frequenz auf als die participe passé-Konstruktion, jedoch ist sie im Vergleich zur participe présent-Konstruktion überraschend frequent: In nahezu jedem dritten Satz des Journal officiel taucht eine Adjektivkonstruktion auf.

Obwohl die Adjektivkonstruktion quantitativ deutlich den Partizipialkonstruktionen rangiert ist, ist sie fachsprachlich dennoch von Bedeutung, da sie frequenter ist als beispielsweise der Relativsatz, der seinerseits eine für die Fachsprache wichtige Konstruktion darstellt.

In der vorliegenden Fachsprache belegt ist die gemeinsame Verwendung der satzwertigen Adjektivkonstruktion und der ihr zugrundeliegenden Langform.
Beispiel:
(6) Art. 4 – Les dispositions du décret no 85-79 du 22 janvier 1985 relatif au budget et au régime financier des établissements publics à caractère scientifique, culturel et professionnel, sont applicables à l´école, à l´exception de celles qui sont relatives au budget propre des composantes et sous réserve des dispositions de l´article 23 ci-dessous.
(J.O., L&D, 27.08.1987, 9814)

An dieser Verwendung zeigt sich nicht nur die große Nähe der Adjektivkonstruktion zu ihrer Langform, sondern auch, daß sie hier ausschließlich als attibutive Gliedsatzkonstruktion zu verstehen ist. Allgemein ist die Tendenz ablesbar, daß bei gemeinsamem Auftreten beider Formen die Adjektivkonstruktion ihrer Langform vorausgeht.
Die Adjektivkonstruktion ist für die Überschriften des Journal officiel von großer Bedeutung. Begünstigt wird ihre frequente Verwendung vor allem durch das Phänomen, daß dort im allgemeinen verblose Sätze vorliegen, die auf Gliedsatzebene infiniter Konstruktionen bedürfen. In Überschriften ist das Adjektiv relatif am häufigsten vertreten.

Der satzwertige Charakter der Adjektivkonstruktion wird auch durch ihre Nähe zu den Partizipialkonstruktionen unterstrichen.
Beispiel:
(7) Les produits importés ou exportés par l´Organisation et strictement nécessaires pour l´exercice de ses activités officielles sont exonérés de tous droits et taxes perçus à l´importation ou à l´exportation.
(J.O., L&D, 03.09.1987, 19159)
Beide Konstruktionen – Adjektiv- und participe passé-Konstruktion – können problemlos in syntaktischer Reihung auftreten. Allein anhand dieses Beispiels wird deutlich, daß keinerlei qualitative Unterschiede zwischen Partizipialkonstruktion und Adjektivkonstruktion feststellbar sind: Syntaktsich sind beide vollkommen gleichwertig.

Dieses Ergebnis wird auch dadurch gestützt, daß die Adjektivkonstruktion ebenfalls mit einer Agens-Ergänzung auftreten kann.
Beispiel:
(8) 3. Le voyageur qui ne peut présenter un billet valable doit payer, outre le prix du transport, une surtaxe calculée conformément aux prescriptions applicables par le chemin de fer qui exige le paiement de la surtaxe.
(J.O., L&D, 03.09.1987, 10162)
In der Reihung mit Nominalkonstruktionen, die dann ihrerseits als satzwertig betrachtet werden können, liegt eine weitere fachsprachlich genutzte Möglichkeit der Adjektivkonstruktion.
Beispiel:
(9) Art 1er. – L´importation sous tous régimes douaniers, autres que le transit de frontière à frontière sans rupture de charge, dans le territoire douanier, de plantes et parties de plantes vivantes ci-après : arbres, arbustes, plantes de pépinières, greffons et boutures (no 06-02 A ex II et ex D du tarif des douanes), appartenant aux genres cités en annexe I du présent arrêté et originaires ou en provenance des pays cités aux annexes III et IV, est soumise au respect des conditions sanitaires définies à l´article 2 ci-après.
(J.O., L&D, 01.11.1987, 12786)
Die Konstruktion originaire ou en provenance de tritt im Journal officiel so frequent auf, daß die Verbindung beider Elemente als fachsprachliche Norm angesehen werden kann. An dieser Verwendung wird deutlich, daß die Adjektivkonstruktion eine fachsprachlich relevante Kombinierbarkeit mit anderen satzwertigen Konstruktionen aufweist, wie sie wohl für keine ihrer Konkurrenzkonstruktionen gegeben ist.
Eine andere für die französische Rechts- und Verwaltungssprache wichtige Adjektivkonstruktion ist autre que. Ihre semantische Funktion erklärt ihre hohe Frequenz: Indem sie die inhaltliche Ausblendung von Sachverhalten bewirkt, die für den gegebenen Kontext bedeutungslos sind, hat sie für den fachsprachlichen Rezipienten Signalfunktion. Die Verwendung von autre que trägt auf sehr ökonomische Weise zu der für die französische Rechts- und Verwaltungssprache charakteristischen, größtmöglichen Exaktheit im Ausdruck bei.

In textueller Hinsicht spielt die Adjektivkonstruktion in den Überschriften des Journal officiel eine mindestens ebensogroße Rolle wie die Partizipialkonstruktionen.
Beispiel:
(10) Décret no 87-986 du 26 novembre 1987 approuvant le cahier des clauses techniques générales applicables aux marchés publics d´exploitation de chauffage ou aux marchés publics d´exploitation de chauffage avec gros entretien des installations
(J.O., L&D, 02.12.1987, 14024)
Wie die Partizipialkonstruktionen offeriert sie die Möglichkeit der syntaktischen Verkürzung, was bisweilen zu extremer Textverdichtung führt und sie für eine Verwendung in Überschriften prädestiniert. Auch in dieser Verwendung erweist sich die Adjektivkonstruktion als eine echte Alternative zu den Partizipialkonstruktionen.

Auch für die Adjektivkonstruktion kann eine zentrale kommunikative Funktion aller attributiven Gliedsatzkonstruktionen nachgewiesen werden: der Einschub prägnanter Informationen.
Beispiel:
(11) Art. 3. – Toute disposition contraire au présent arrêté est abrogée.
(J.O., L&D, 29.11.1987, 13951)
Hier liegt eine Gliedsatzkonstruktion vor, die der Monosemierung des vorangehenden Antezedens dient – im vorliegenden Fall zum Zwecke der Abgrenzung. Das Beispiel unterstreicht die extreme Verkürzung, die mit Hilfe der Adjektivkonstruktion möglich wird. Eine effektivere Verkürzung als mit Hilfe dieser Konstruktion ist kaum vorstellbar.

Insgesamt kann festgehalten werden, daß die Adjektivkonstruktion enorme syntaktische Möglichkeiten bietet, die die Fachsprache voll nutzt. Diese Möglichkeiten liegen in ihrer syntaktischen Nähe zu den Partizipialkonstruktionen, mit denen sie die beachtlichen Kombinationsmöglichkeiten und den textverkürzenden Charakter teilt. Im Rahmen der Zustandsbeschreibung stellt die Adjektivkonstruktion eine wichtige Alternative zu den Partizipialkonstruktionen dar. Die mit ihrer Hilfe erzielten syntaktischen Vorteile ermöglichen die Realisation fachsprachlich wichtiger kommunikativer Funktionen, die denen der Partizipialkonstruktionen vollkommen ebenbürtig sind.


2. Die Berücksichtigung von Partizipial- und Adjektivkonstruktionen in ausgewählten fachsprachlichen Lehrwerden

2.1 Alain de Schlichting: Le français juridique

Dieses im Jahre 1995 veröffentlichte Lehrwerk zum juristischen Französisch stellt laut Vorwort „un ouvrage d´introduction à la terminologie juridique basée sur des textes à teneur juridique avec explication et traduction du vocabulaire spécifique“ (7) dar. Seine Adressatengruppern sind deutsche Jura- und Wirtschaftsstudenten und solche in Übersetzer- und Dolmetscherstudiengängen ebenso wie Praktiker, Anwälte, in Wirtschaftsunternehmen tätige Juristen sowie Beamte deutscher Muttersprache und alle am juristischen Französisch privat, beruflich, schulisch sowie universitär Interessierte. Jedes Kapitel enthält zunächst eine allgemeine Einführung in den juristischen Themenbereich, gefolgt von einer kurzen Präsentation der nachfolgenden Texte. Ziel ist eine sofortige Sensibilisierung des Lesers für die jeweilige Materie, was ihm einen ohne jeglichen Zeitverlust vonstatten gehenden Zugang zu denjenigen Texten ermöglichen soll, die ihn besonders interessieren.

Angesichts dieser im Vorwort angeführten Zielgruppen ist es höchst bemerkenswert, daß das vorliegende Lehrwerk nichts weiter bietet als eine durch Vokabelhilfen gestützte Sammlung juristischer Texte, ohne daß auf sprachliche Aspekte der Terminologie oder gar grammatische Phänomene eingegangen wird: Grammatik kommt in diesem Lehrwerk schlichtweg nicht vor. Es existieren keine Übungen, keine erhellenen Kommentare der ausgewählten Texte – weder juristisch noch sprachlich -, und somit ist an eine Sensibilisierung der Adressaten hinsichtlich einzelner grammatischer Strukturen nicht zu denken. Kurzum: In diesem Leehrwerk werden weder Grammatik insgesamt noch die Partizipialkonstruktionen oder die Adjektivkonstruktion behandelt.

2.2 Christine Schmidt: Introduction à la langue juridique française

Das von Christine Schmidt im Jahre 1997 veröffentlichte Lehrwerk will seine Leser mit dem komplexen juristischen Fachvokabular anhand unterschiedlicher Themenkreise vertraut machen. Berücksichtigt werden dabei ebenso das Privatrecht, das Bürgerliche Recht, das Handels- und Arbeitsrecht wie auch das Strafrecht. Die einzelnen Lektionen sind durchgehend systematsich gegliedert: Zunächst figuriert der Lektionstext, in der nächsten Rubrik - „Pour aller plus loin“- findet eine Vertiefung der dargestellten Inhalte statt. Daran anschließend werden „Vocabulaire/Expression“ behandelt, hierauf „Exercices“, die im „Corrigé“ kommentiert werden. Ein „Récapitulatif“ schließt die einzelnen Lektionen ab.

Unter allen genannten Bestandteilen der einzelnen Lektionen bieten sich als einzige die Rubrik „Exercices“ für eine Behandlung grammatischer Phänomene an. Diese Rubrik enthält sowohl allgemein-juristische Aufgaben und Textanalysen, die Untersuchung juristischer Fälle, die Erstellung von Kurzanalysen von Rechtsfällen, als auch durchaus fachsprachlich orientierte Aufgabenstellungen, wie beispielsweise die stilistische Verbesserung eines gegebenen Textes (39f), Übungen zum Textverständnis (z.B. 70f), das Verlangen von Definitionen juristischer Begriffe (91), die Erarbeitung juristischer Terminologie (147) oder auch das Auffinden der Bedeutungen gängiger juristischer Kollokationen (158). Die genannten fachsprachlich orientierten Aufgabentypen sind mehrheitlich als positiv zu bewerten. Was jedoch vollkommen fehlt, ist die Behandlung grammatischer Phänomene.

Auch in der Publikation von Christine Schmidt tritt somit eine grammatische Behandlung solcher Strukturen wie der participe présent- und der participe passé-Konstruktionen oder der Adjektivkonstruktion in ihren entsprechenden Verwendungen nicht auf. Das Lehrwerk mag durchaus seine Vorteile haben und Lernern der juristischen Fachsprache im unterrichtlichen Kontext oder beim Selbststudium nützlich sein – grammatische Hilfestellung leistet es jedoch keineswegs. Das Lehrwerk ist für Lernende, die die Konventionen der französischen Rechts- und Verwaltungssprache für die eigenen Bedürfnisse erarbeiten möchten, auf grammatischerEbene vollkommen unzulänglich.

2.3 Mestre/Oellers-Frahm: Einführung in die französische Rechtssprache

Das vorliegende Lehrwerk, das sich zwar nur „eine mehr oder minder allgemeine Einführung in die einzelnen Rechtskapitel“ (1998:V) zum Ziel gesetzt hat, das aber – wie auf dem hinteren Buchdeckel ausgeführt ist – durch „die geschickte Kombination von Recht und Sprache“ „eine gute Einarbeitung in die Rechtssprache und das Rechtssystem Frankreichs“ ermöglichen soll, berücksichtigt grammatische Aspekte ebensowenig wie das Lehrwerk von Schmidt. Zwar enthält jedes Kapitel nach dem Lektionstext ein Glossaire, das die verschiedenen Termini auf französisch und deutsch darbringt, zum Teil auch Indications Vocabulaire, die die französischen Begriffe auf französisch definieren, und ebenfalls Questions zu den einzelnen Lektionstexten, die jedoch keinerlei sprachliche, sondern lediglich eine sachliche Orientierung an den Verhältnissen des französischen Rechtssystems ermöglichen. Hinweise zur Grammatik sind dagegen Fehlanzeige. Grammatik wird an keiner Stelle behandelt - und somit auch nicht die Partizipialkonstruktionen oder die Adjektivkonstruktion.

Auch dieses Lehrwerk weist also eine erhebliche Lücke auf, wenn es darum geht, nicht-frankophonen Studierenden die an der Grammatik orientierten Texterstellungsprinzipien ihrer Fachsprache näherzubringen. Auch dieses Lehrwerk folgt – wie die beiden zuvor untersuchten – dem Ansatz, daß eine Fachsprache lediglich aus Terminologie bestehe – ein Ansatz, der mehrere Jahrzehnte lang von der Fachsprachenforschung in gleicher Weise verfolgt wurde, der jedoch durch Arbeiten zu anderen Ebenen der Fachsprachenlinguistik - wie beispielsweise der Syntax – relativiert werden konnte, was eine allgemeinere, breitere Sicht auf Fachsprache ermöglichte. Die heutige fachorientierte Fremdsprachenvermittlung ist noch auf dieser, für die Linguistik als obsolet anzusehenden Stufe angesiedelt. Sie muß diese dringend überwinden, um in Zukunft für Lernende attraktiver zu werden.

2.4 J.-L. Penformis: Le français du droit

Das von J.-L. Penfornis im Jahre 1998 vorgelegte Lehrwerk, das sich – laut Vorwort – vier Ziele setzt, nämlich
- eine Einführung in das französische Recht zu bieten,
- eine Beschreibung sprachlicher Besonderheiten zu leisten,
- eine Vielzahl juristischer Dokumente zu präsentieren und
- realistische und für die Lernenden motivierende Aktivitäten anzuregen,
ist ebenfalls innerhalb der einzelnen Lektionen strikt und kohärent gegliedert. So ist jede der sechs großen Unités des Lehrwerkes in aus jeweils vier Seiten bestehende Teile gegliedert, bei denen zuerst ein einführender Text die Studierenden an das Thema heranführt. Eine Ergänzung zu diesem bietet die das gesamte Lehrerk durchlaufende Rubrik Comment dire, danach folgt eine den Einführungstext stützende Wiederholungsübung. Hieran schließt sich in der Regel ein ausführlicher Fließtext an, der ein authentisches juristisches Dokument darstellt. Dieser wiederum wird durch Übungen vertieft und lerntechnisch gesichert.

Für die Behandlung grammatischer Phänomene relevant ist die Rubrik Comment dire, die durchgehend und mit mehrheitlich funktionaler Ausrichtung grammatische Phänomene des Französischen behandelt und ihre Leistung für die Rechts- und Verwaltungssprache darlegt. Als Beispiele solcher Übungen seien genannt:
- das présent de l´indicatif zum Ausdruck einer obligation (13),
- das Passiv als in der Fachsprache gegenüber dem Aktiv bevorzugte
Form (17),
- die voix impersonnelle – z. B. il faut, il appartient à, il incombe à
mit der Funktion, niemanden anzusprechen, aber jedermann zu
meinen (21),
- Übungen zu Aspekten der Wortbildung (57, 71).

In diesem Lehrwerk tritt ebenfalls eine Übung zu den beiden Partizipien auf. Dieser Aspekt ist zunächst sehr positiv zu bewerten. Bei näherem Hinsehen jedoch erkennt man anhand der im folgenden zitierten Beschreibung der Partizipialkonstruktionen eine Relativierung:
Dans la langue du droit, les participes présents et les participes passés sont souvent employés comme noms pour désigner les acteurs du droit. Cette technique permet de raccourcir l´expression en évitant d´avoir recours à une proposition relative: <> devient <>, <> devient <<>>. (39)
Anhand dieser Beschreibung erkennt man, daß hier lediglich ein weniger relevanter Aspekt der Wortbildung aktualisiert wird, der gegenüber denjenigen Funktionen der beiden Partizipien, die zuvor von uns beschrieben worden sind und die als satzwertig bezeichnet werden können, funktional zurücktritt. Die Partizipien werden hier in keiner Weise syntaktisch, sondern lediglich lexikalisch behandelt, was eine ähnliche Kritik evoziert, wie sie zu den vorher untersuchten Lehrwerken formuliert worden ist: Fachsprache wird zum großen Teil auf die fachliche Lexik reduziert. Es wird nicht das enorme Funktionspotential der Partizipialkonstruktionen für die fachsprachliche Texterstellung deutlich gemacht; die Konstruktionen werden zwar behandelt, aber in einer Form, die für Lernende der französischen Rechts- und Verwaltungssprache ungleich weniger wertvoll ist, als dies der Fall sein könnte: Selbst wenn ein Lernender nicht auf die Idee käme, daß die Begriffe l´adoptant und le condamné aus ehemaligen Partizipien hervorgegangen sind, wäre er in der Lage, sich diese beiden Begriffe vokabularisch anzueignen. Hier ist somit eine große Chance vertan worden.

Es wird in unserer Untersuchung von vier Lehrwerken zur französischen Rechts- und Verwaltungssprache deutlich, daß grammatische Gesichtspunkte entweder gar nicht behandelt werden oder, wenn ja, partiell in funktional vielversprechender Form, jedoch nicht auf die Partizipialkosntruktionen bezogen. Die Adjektivkonstruktion wurde in keinem der Lehrwerke behandelt, auch nicht in dem als am didaktischsten und für Studierende am interessantesten einzustufenden Lehrwerk Le français du droit. In französischen Lehrwerken ist somit im Hinblick auf die von uns untersuchten Konstruktionen eine klaffende Lücke festzustellen.

Die Konsequenzen, die dieser Befund für den fachorientierten Fremdsprachenunterricht hat, werden im folgenden Kapitel zu erörtern sein.

3. Konsequenzen für den fachorientiertenFremdsprachen-
unterricht (FFU)

3.1 Relevanz für das fachsprachenspezifische Curriculum

Unsere Analyse hat gezeigt, daß Lernende im Hinblick auf die französische Rechts- und Verwaltungssprache bei der Behandlung von Grammatik allgemein und der Vermittlung der Partizipial- und Adjektivkonstruktionen weitestgehend allein gelassen werden. Für das fachsprachliche Curriculum ist zunächst die Frage von Bedeutung, welche Konstruktionen Studierende beherrschen müssen. Die Auswahl dieser relevanten Konstruktionen und grammatischen Strukturen richtet sich zum einen nach der Fachsprache und ihren kommunikativen Bedürfnissen und Erfordernissen selbst, zum anderen nach den potentiellen Arbeitsfeldern, in denen Studierende tätig sein werden. Ein Beispiel mag diesen Zusammenhang verdeutlichen: Ein Verwaltungsbeamter der EU wird in seinem Berufsleben umfassendere lexikalische und grammatische Kenntnisse der französischen Rechts- und Versaltungssprache haben müssen als der Anwalt eines deutschen mittelständischen Unternehmens, der eventuell hier und da einmal französische Originaltexte rezipieren muß.

Zu der Frage, welche Konstruktionen fachsprachlich relevant sind, tritt der qualitative Aspekt: Im FFU müssen Lernende die Funktionen der einzelnen Konstruktionen kennen, dabei muß der FFU auf dem allgemeinsprachlichen Fremdsprachenunterricht aufgebaut sein. Die grammatischen Fundamente müssen bei den Lernenden vorhanden sein – also beispielsweise die Bildung und die allgemeinsprachliche Verwendung einer Konstruktion. Der FFU ist somit komplementär zum allgemeinen Fremdsprachenunterrricht. Er muß dann einsetzen, wenn die Grammatik allgemeinsprachlich als bekannt vorausgesetzt werden kann – also auf einem fortgeschrittenen mittleren oder einem hohen Niveau.

Grundlage für die Behandlung von Grammatik im FFU müssen einschlägige fachsprachliche Untersuchungen sein. Sie sind die Basis, aufgrund derer Grammatik in Lehrwerken zu didaktisieren ist. Fachorientierte Lehrwerke selbst müssen die Grammatik unbedingt in ausführlicherer und detaillierterer Form integrieren - und dies unter funktionaler Ausrichtung. Sie müssen wegkommen von der bisher festzustellenden, nahezu ausschließlichen Terminologieorientierung: Die Terminologielastigkeit ist in Lehrwerken, die sich ernsthaft als fachsprachenorientierte Lehrwerke verstehen, nicht mehr aktuell – wie sie auch in der Fachsprachenforschung lange nicht mehr aktuell ist.

Über die Notwendigkeiten der Erstellung fachsprachlicher Lehrwerke hinaus, die die Grammatik in der beschriebenen Weise berücksichtigen, ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung.

3.2 Die Notwendigkeit der Schaffung einer fachspezifischen
Grammatik

Wie ich bereits an anderer Stelle – vgl. Tinnefeld (1993a) – gefordert habe, wird es mittelfristig unausweichlich sein, eine fachsprachliche Grammatik zu erstellen. Mit dieser Forderung kann natürlich nicht gemeint sein, eine fachsprachliche Grammatik für alle Fachsprachen zu publizieren; idealtypisch müßte es eine Grammatik für jede einzelne Fachsprache geben oder zumindest für Fachsprachengruppen, die eine Affinität zueinander aufweisen. Unter Nicht-Berücksichtigung finanzieller Zwänge und des großen damit verbundenen Aufwandes wäre jedoch die seriöseste und ernsthafteste Lösung darin zu sehen, für jede wichtige Fachsprache eine separate Grammatik zu schaffen.

Grundlage auch einer solchen Grammatik - also im vorliegenden Falle einer fachsprachlichen Grammatik für die französische Rechts- und Verwaltungssprache – müssen ebenso, wie dies für Lehrwerke gefordert worden ist, einschlägige fachsprachliche Untersuchungen sein. Die in ihnen erarbeiteten Ergebnisse sind von Grammatikographen – die sowohl für die entsprechende Fremdsprache als auch, durch Ausbildung oder praktische Erfahrung, für das entsprechende Fach ausgewiesen sein müssen – in der Weise zu didaktisieren, daß sie die in der Regel hohe grammatische und syntaktische Komplexität der Fachsprache in verständlicher Form präsentieren.

Die Hauptstoßrichtung einer fachsprachlichen Grammatik kann nicht die Beschreibung der Bildung von Konstruktionen oder gar deren allgemeinsprachliche Verwendung sein – Stoßrichtung ist allein die Funktionalität fachsprachlich relevanter Strukturen. Dies bedeutet, daß eine fachsprachliche Grammatik in der Regel weniger umfangreich zu sein hat als eine allgemeinsprachliche Grammatik. Die fachsprachliche Grammatik baut auf der allgemeinsprachlichen auf und ist somit komplementär zu dieser zu lesen. Im Hinblick auf eine real existierende Publikation wäre es wünschenswert, wenn eine klare Beziehung zu einer bestehenden allgemeinsprachlichen Grammatik – für das Französische beispielsweise der Grammatik des heutigen Französisch von Klein/Kleineidam – erstellt würde und im Rahmen der fachsprachlichen Grammatik auf die jeweils relevanten Kapitel der allgemeinsprachlichen Grammatik explizit verwiesen würde. Somit würde idealtypisch ein grammatisches Netzwerk zwischen einer zugrundeliegenden allgemeinsprachlichen Grammatik und verschiedenen, jeweils auf eine bestimmte Fachsprache ausgerichteten, spezialisierten Grammatiken entstehen.

Angesichts der verhältnismäßigen Kürze einer fachsprachlichen Grammatik sollten durchaus auch Verlage für ein solches Projekt interessiert werden können: Die Kosten dafür dürften sich in tolerierbaren Grenzen halten lassen.

Die Frage, die in erster Linie bei der Realisierung eines fachsprachlichen Grammatikprojektes zu klären wäre, liegt darin festzustellen, ob es möglich ist, auf der Grundlage bestehender fachsprachlicher Untersuchungen die dort erarbeiteten fachsprachenspezifischen Phänomene in der Weise grammatikographisch zu didaktisieren, daß am Ende ein brauchbares, für Lernende geeignetes Ergebnis herauskommt. Diese Frage soll im folgenden Abschnitt am Beispiel der Adjektivkonstruktion zu klären versucht werden: Dabei wird es darum gehen, exemplarisch ein Probekapitel einer künftig zu schaffenden Fachsprachlichen Grammatik des Rechts- und Verwaltungs-französischen zu erarbeiten.

3.3 Probekapitel einer fachsprachlichen Grammatik der
französischen Rechts- und Verwaltungssprache:
die Adjektivkonstruktion

Die satzwertige Adjektivkonstruktion wird gebildet, indem ein durch mindestens eine Ergänzung erweitertes Adjektiv – an ein nominales Bezugselement angebunden – verwendet wird. Der Satz
Tout produit qui est originaire de ce pays est prohibé.
wird dann zu
Tout produit originaire de ce pays est prohibé.
In textueller Hinsicht kommt die Adjektivkonstruktion somit einem verkürzten Relativsatz gleich.

Fachsprachlich tritt sie häufig in Überschriften von Gesetzestexten auf:
Décret no ________ du 26 août 200___ relatif à l´Ecole
normale supérieure.
Hier ist das Adjektiv relatif besonders häufig zu finden. Dieser Gebrauch der Adjektivkonstruktion hat die Funktion, verwaltungsrechtliche Texte inhaltlich exakt und prägnant einzuordnen. Sie ermöglicht dem Leser eine rasche Orientierung Ihr textverdichtender Charakter kommt der Konstruktion zugute. Eine solche Überschrift wird somit zu einer fixierten Überschrift: Jegliche Wiederaufnahme ihrer in einem Text oder einer anderen Überschrift muß in identischer Form erfolgen.

Wie das Passiv kann auch die Adjektivkonstruktion mit einer Agens-Ergänzung auftreten. Diese Möglichkeit ist besonders dann gegeben, wenn das zugrundeliegende Adjektiv auf -able oder –ible endet und ihm dadurch ein modaler Charakter („kann“) zukomt:
Le voyageur qui ne peut présenter un billet valable doit payer, outre le prix du transport, une surtaxe calculée conformément aux préscriptions applicables par le chemin der fer qui exige le paiement de la surtaxe.
Da Adjektive auf –ible/-able in dieser Fachsprache häufig vorkommen, ergibt sich hier eine interessante, weil äußerst ökonomische Verwendung der Konstruktion. Vgl. alternativ die ungleich längere – und weniger elegant wirkende – Formulierung mit Hilfe eines Passivsatzes:
(...) préscriptions qui peuvent être appliquées par le chemin de fer.
Die Adjektivkonstruktion kann auch in Reihung mit einem Substantiv auftreten, das dann ebenfalls einen Nebensatz verkürzt:

L´importation sous tous régimes douaniers (...), originaires ou
en provenance
de pays cités aux annexes III et IV, est soumise au
respect des conditions sanitaires définies à l´article 2 ci-après.

Besonders die Verbindung originaire ou en provenance de ist in der französischen Rechts- und Verwaltungssprache sehr häufig anzutreffen. Sie zielt ab auf die Bezeichung der Herkunft von Waren und ist daher für zollrechtliche Bestimmungen von Relevanz.

Eine weitere fachsprachlich relevante Adjektivkonstruktion ist autre que:
L`importation sous tous régimes, autres que le transit de frontière
à frontière sans rupture de charge
, (...)
Ihre Funktion besteht in der inhaltlichen Ausgrenzung von Sachverhalten, die in einem gegebenen Zusammenhang bedeutungslos sind. Sie hat für den Leser Signalfunktion.

Aufgrund ihrer großen satzbautechnischen Kombinierbarkeit kann die Adjektivkonstruktion im Text durchaus gehäuft auftreten:
Peuvent seuls être autorisés à concourir les cadidats agés de
moins de quarante ans au 1er janvier 1987 titulaires d´un
diplôme, certificat ou titre permettant l´exercice en France des
activités de vétérinaire.
Solche gehäuften Verwendungen lassen den Fachtext nicht unnötig schwerfällig erscheinen. Ihr Vorteil: Sie ermöglichen die mehrfache Bezugnahme auf ein und dasselbe Substantiv. Diese Verwendung wird dadurch gestützt, daß sich das Adjektiv in Genus und Numerus an sein Bezugssubstantiv angleicht.

Die Adjektivkonstruktion läßt sich auch für die Gliederung von Texten nutzen. Diese Möglichkeit ist beispielsweise dann gegeben, wenn ein Adjektiv zwei- oder mehrfach in paralleler Form ein und dasselbe Substantiv an sich bindet:
Les candidats titulaires d´un certificat d´aptitude professionnelle
ou d´un brevet d´etudes professionnelles du même secteur
professionnel ou d´un diplôme classé au moins au niveau IV sont
dispensés de l´évaluation prévue dans les domaines généraux.
Les candidats titulaire d´un diplôme classé au moins au niveau V
sont dispensés de l´évaluation prévue dans le domaine de
l´éducation physique et sportive.
Die so entstehende Parallelität im Ausdruck strukturiert den entstehenden Text formal und erleichtert das Textverständnis. Zugleich wird deutlich gemacht, daß für die angesprochenen Gruppen von Personen oder Sachverhalten vergleichbare Bestimmungen gelten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, diese voneinander abzugrenzen. Die Textgliederungsfunktion der Adjektivkonstruktion trägt also zu einer größeren fachsprachlichen Übersichtlichkeit bei.

Die Adjektivkonstruktion ermöglicht den prägnanten Einschub sachlich relevanter Informationen:
Les autorité compétentes selon le paragraphe 1 sont:
- les Etats membres, pour leurs représentants ;
- le comité administratif, pour le directeur général ;
- le directeur général, pour les autres membres du personnel ainsi
que pour les experts auxquels l´Organisation fait appel
(114/246)
Unter texttypographischem Gesichtspunkt ist die Adjektivkonstruktion sehr gut mit der Verwendung von Spiegelstrichen kombinierbar. Diese Affinität wird dadurch gestützt, daß sie selbst den Satzbau und auch den Textaufbau nicht belastet und diese daher für die Versprachlichung weiterer Informationen aufnahmefähig macht.

3.4 Auswertung
Es hat sich gezeigt, daß es durchaus möglich ist, auf der Grundlage einer bestehenden Untersuchung zur französischen Fachsprache des Rechts und der Verwaltung zu einer ausgewählten, für diese Fachsprache relevanten Konstruktion ein Probekapitel zu erstellen, das es Lernenden ermöglicht, diese Konstruktion in ihren passiven und aktiven Sprachschatz aufzunehmen. Dabei ist im gegebenen Zusammenhang mit Absicht eine Konstruktion gewählt worden, die auch in allgemeinsprachlicher Perspektive grammatikographisch bisher sträflich vernachlässigt worden ist.

Ein wichtiges Kriterium, an das sich Autoren von fachsprachlichen Grammatiken bei dieser Arbeit halten müssen, liegt darin, in fachsprachlichen Untersuchungen erarbeitete Ergebnisse zu verallgemeinern, ohne dabei das Funktionspotential gegebener Konstruktionen zu vergröbern. Stoßrichtung muß also sein, eine Generalisierung unter Berücksichtigung der bestehenden Detailtreue vorzunehmen. Dabei ist besonders auf die prägnante Formulierung von Regeln und Kommentaren zu achten. Priorität in der Darstellung haben jedoch die Beispiele, da deren illustrierender Charakter durch keinerlei Kommentar zu übertreffen ist.

Durch diesen Schritt der Schaffung einer fachspezifischen Grammatik, der hier ansatzweise exemplifiziert worden ist, würde die Fachsprachenforschung eine weitere Sinnhaftigkeit erhalten: hin zu einem benutzerfreundlichen Ansatz, der – durch die Berücksichtigung seitens einer größeren Adressatengruppe – auch über die Fachsprachenforschung im engeren Sinne und auch über die Linguistik hinausweisen würde. Durch die Schaffung fachspezifischer Grammatiken und durch die verstärkte Erstellung fachsprachenorientierter Lehrwerke, in denen Grammatik und Syntax neben der Lexik berücksichtigt würden, könnte es gelingen, der Fachsprachenforschung auch über ihr eigenes Wirkungsfeld hinaus weitere Geltung zu verschaffen.


Bibliographische Angaben


Klein, H.-W./H. Kleineidam (1983, 21995) Grammatik des heutigen Französisch. Stuttgart

Mestre, C./K. Oellers-Frahm (1998): Einführung in die französische Rechtssprache – Introduction au français juridique. Bern

Penfornis, J.-L. (1998): Le français du droit. Paris

Schlichting, A. de (1995): Le français juridique. Ismaning

Schmidt, Ch. (1997): Introduction à la langue juridique française. Baden-Baden

Schwarze, Ch. (1988): Grammatik der italienischen Sprache. Tübingen

Tinnefeld, T. (1993): Die Syntax des ´Journal officiel´. Eine Analyse der Fachsprache des Rechts und der Verwaltung im Gegenwartsfranzösischen. Bochum

Tinnefeld, T. (1993a): Plädoyer für die Schaffung einer fachsprachlichen Grammatik. In: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 37 (1993), 49-69


[1] Im Hinblick auf die quantitative Cistribution der hier untersuchten Konstruktionen vgl. Tinnefeld 1993: 157ff
[2] Die Abkürzung „L&D“ steht hier für die Rubrik „Lois et Décrets“ des Journal officiel.

Article: Zehnte Göttinger Fachtagung "Emotion und Kognition im Fremdsprachenunterricht (Teil 1)




Published in: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 68 (2003), 61-78



Zehnte Göttinger Fachtagung „Emotion und Kognition im Fremdsprachenunterricht“ – ein Aufbruch zu neuen Ufern? - Tagungsbericht (1. Teil)



Thomas Tinnefeld (Göttingen)



Die Zehnte Göttinger Fachtagung, die vom 05.03. bis 07.03.2003 am Sprachlehrzentrum der Georg-August-Universität Göttingen abgehalten wurde, war – ebenso wie ihre neun Vorgängerinnen – ein großer Erfolg: ein Erfolg auf sozialer Ebene durch die intensive Begegnung der in Sprachvermittlungsprozessen tätigen bzw. in der Sprachlehrforschung aktiven Teilnehmerinnen und Teilnehmer; ein akademischer Erfolg angesichts der vierten Verleihung des Göttinger Preises zur Fremdsprachenerwerbsforschung und nicht zuletzt ein wissenschaftlicher Erfolg durch die Vielzahl hochinteressanter, zum Teil mitreißender Vorträge vor dem Plenum und in den Arbeitsgruppen. Über die beiden zuletzt genannten Gesichtspunkt soll an dieser Stelle berichtet werden. Dabei beschäftigen wir uns zuerst mit der genannten Preisverleihung, danach wird auf die Plenumsvorträge Bezug genommen und schließlich wird auf die in den einzelnen Arbeitsgruppen gehaltenen Vorträge in aller Kürze eingegangen. Es werden hier alle Vorträge, die auf der Tagung präsentiert worden sind, behandelt, um diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die aktiv zu deren Gelingen begetragen haben, zu ihrem Recht kommen zu lassen. Bereits an dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, daß erneut – zumindest ein, eventuell zwei – Tagungsbände geplant sind – wie es der Tradition der bisherigen Göttinger Fachtagungen entspricht -, daß aber auch einige der Vorträge in einer der nächsten Nummern der vorliegenden Zeitschrift dokumentiert werden.
Der diesmalige Göttinger Preis zur Fremdsprachenerwerbsforschung ging an Barbara Schmenk für ihre Dissertation „Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtstypischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforschung“, die im Jahre 2002 in Tübingen bei Stauffenburg erschienen ist (vgl. hier auch die Rezension von Klaus Vogel in FuH 67, 115ff). Die Laudatio wurde von Herbert Christ gehalten, der sie – entsprechend dem ausgezeichneten Ruf, den er sich in der Fachwelt erworben hat, in bester akademischer Tradition der Romania hielt, was mit einer erheblichen Prise Humor einher ging. Dabei verband Christ in anschaulicher und das Publikum fesselnder Manier die inhaltliche Analyse der im Zentrum stehenden Arbeit – nach der die gemeinhin verbreitete Annahme, Frauen seien (fremd)sprach(en)begabter als Männer, in dieser Form nicht haltbar ist - mit den Standpunkten der Wissenschaft und seinen eigenen Positionen. Am Ende seiner Ausführungen bestand kein Zweifel darüber, daß die Wahl dieses Werkes durch die Jury eine durchaus gerechtfertigte war.



Vorweggenommen sei bereits an dieser Stelle, daß der Tagung der Brückenschlag zwischen zwei zentralen Faktoren des Fremdspachenlernens – dem kognitiven und dem emotionalen -gelang, deren Zusammenhang oft nicht gesehen, der bisweilen gar negiert worden ist. Dazu trugen wesentlich die Plenarvorträge bei, auf die zunächst eingegangen werden soll.



Gerald Hüther („Die Bedeutung emotionaler Aktivierungsprozesse für die neurobiologische Verankerung neuer Erfahrungen“) wies darauf hin, daß selbst bei Erwachsenen die im Gehirn angelegten synaptischen Verschaltungen und neuronalen Netzwerke viel mehr, als dies bisher zugrundegelegt worden ist, geformt werden können. Entscheidend ist dabei die Freisetzung von Botenstoffen, die emotionale Zentren aktivieren. Eine solche Aktivierung tritt immer in solchen Situationen auf, in denen etwas Unerwartetes oder Aufregendes passiert, z. B. das Auftauchen eines neuen Problems. Aktivierungsprozesse der genannten Art sind somit am ehesten durch die Verstärkung oder die Bedrohung solcher Bindungen hervorzurufen, die Sicherheit bieten. Hüther zeigte auf, daß das Gehirn nicht zuim Auswendiglernen da ist, sondern vielmehr zum Problemlösen, und dies besonders dann, wenn die Bewältigung von Problemen in Kontexten und im Hinblick auf Personen vermittelt wird, die ihrerseits emotionale Aktivierungsprozesse in Gang setzen. Er betonte, daß Bequemlichkeit zur Hirnschrumpfung führt und daß das beste Gehirntraining die Konstanz der allgemein positiv bewerteten Flow-Erfahrungen des Menschen sei.



Norbert Fries („Sprache und Emotionen“) klärte in seinem Vortrag zunächst einige Begrifflichkeiten. So sind Gefühle für ihn seelische Empfindungen. Emotionen kennzeichnen sich dadurch, zeichenkodierte Gefühle zu sein. Somit sind Emotionen arbiträre semiotische Entitäten. Emiotionale Einstellungen referieren auf Empfindungsqualitäten und Grade der Empfindungsintensität, somit auf spezifische Komponenten von Gefühlen. Emotionale Szenen sind signifikant relevante komplexe Konzepte, wie sie beispielsweise für die Erklärung der Elemente des Wortschatzes einer Sprache zum Ausdruck von Gefühlen vorkommen. Die Semantik spezifischer Gefühle läßt sich durch sprachliche Ausdrücke und semantische Merkmale nicht vollkommen erklären. Wörter wie z,. B. Wut, Zorn, Ärger, Unmut referieren vielmehr auf unterschiedliche emotionale Szenen. Als Beispiel brachte er unter anderen dasjenige einer Scheidungssituation. In einer solchen Situation wird auf unterschiedliche emotionale Szenen referiert, je nachdem, ob der eigene Lebenspartner bei der Scheidung selbst Ärger, Wut, Rage oder Zorn äußerte. Die Relevanz dieser Zusammenhänge für den Fremdsprachenunterricht besteht für Fries darin, Wortschatz im Kontext emotionaler Einbettungen zu vermitteln und ihn somit einer leichteren Erlernbarkeit zuzuführen.



Claudia Finkbeiner („Affektive Faktoren beim Lehren und Lernen fremder Sprachen“) zeigte zunächst die aktuelle Forschungslage in diesem Bereich auf und stellte dann eine eigene Studie mit Schülern der Klassenstufen 9 und 10 zum fremdsprachlichen Lesen im Fach Englisch vor, wobei ihre zentrale Frage der Rolle von Interessen und Strategien galt. Sie stellte die Hypothese auf, daß es einen Zusammenhang geben muß zwischen den Interessen der Schüler, ihren (Lese-)Strategien und der Tiefe ihrer Textverarbeitung. Als problematisch stellte sich dabei heraus, daß Schulbuchtexte früher personenbezogen waren und heute gegenstandsbezogen konzipiert werden. Dieses Faktum ist mit Blick auf die Evozierung von Interesse seitens der Schüler kontraproduktiv. In Finkbeiners Studie war das Leseinteresse von Schülern signifikant zentriert auf das Literaturinteresse einerseits und auf die eigenen Selbständigkeit bei der Textarbeit andererseits. Dabei entwickelt sich personales Leseinteresse sehr früh und wird enorm durch die vorschulische familiäre Anreizsituation gefördert. Das Leseinteresse beginne sogar pränatal. Beeinflußt wird der Leseprozeß durch folgende Faktoren: das Vorwissen, die sprachlichen Kognitionsfähigkeiten, deieLesestrategien sowie attitudinale und affektive Faktoren (Interesse und Einstellung; Lesebereitschaft) wie auch das Lese“training“ (Lesebiographie und Lesegewohnheiten).



Dieter Wolff („Kognition im Fremdsprachenerwerb“) verwies auf die enge Verzahnung von Emotion und Kognition: Emotionen beeinflussen Kognitionen. Emotionen sind ein prä- und postkognitives Phänomen. Er unterstrich Piagets Ansatz, nach dem Kognition der Motor sei, die affektive Komponente dagegen der Treibstoff. In diesem Bereich ist somit eine Dynamik zugrundezulegen: Jeder kognitive Prozeß ist zugleich ein emotionaler. Wolff hob die Konstruktion als Grundprinzip fremdsprachlichen Handels, Lehrens und Lernens hervor. Sprachgebrauch sei somit ein komplexer Konstruktionsprozeß. Ebenso ist Sprachenlernen ein Konstruktionsprozeß. Dabei ist der Verstehensprozeß Grundlage jeglichen Lernprozesses: Drill allein bringt nichts; Interesse, Motiviertheit und emotionale Befindlichkeit sind Voraussetzungen für Lernen und Verstehen. Emotion und Kognition sind gemeinsam an diesem Prozeß beteiligt. Für die Praxis ist dabei die Schaffung einer geeigneten Lernumgebung zentral. Diese Lernumgebung muß eine konstruktivistische sein. Es müssen dies Lernstätten und Lernwelten sein, in denen entdeckendes Lernen und experimentelles Problemlösen möglich sind. Dabei herrscht Dynamik, nicht Statik. Diese Lernumgebung wird von Lehrern und Lernern gemeinsam geschaffen. Dazu muß ein wirkliches Problem gelöst werden; es muß etwas zum Entdecken geben, zum Beispiel Projektarbeit. Die Notwendigkeit der Problemlösung erzeugt positive oder negative emotionale Zustände. Dies ist ein für den Lernerfolg günstiges Kriterium. Hinzu tritt die Fördreung des Vermögens der Lerner zu konstruieren. Der Lehrer muß den Lernern Hilfestellung geben, ein solches Vermögen zu entwickeln, zum Beispiel für die vier sprachlichen Fertigkeiten.



Es folgen nun die Beschreibungen der in den einzelnen Arbeitsgruppen gehaltenen Vorträge. Dabei wird chronologisch von Arbeitsgruppe eins bis Arbeitsgruppe sechs vorgegangen. Die Darstellung der einzelnen Vorträge richtet sich nach ihrer Chronologie während der Tagung.



Die von Juliane House und Peter Scherfer geleitete Arbeitsgruppe 1 trug den Titel „Emotion und Kognition in Sprache und Kommunikation“.



Anna Herwig wandte sich („Die konzeptuelle Struktur negativer Emotionen und ihre Lexikalisierung im Deutschen und Englischen“) den Emotionen als abstrakten kognitiven Ereignissen ohne externes Bezugsobjekt zu. Emotionen stehen bei ihr für ein Verhältnis zwischen anderen kognitiven Ereignissen und weisen somit eine komplexe konzeptuelle Struktur auf. Ihre angemessene Beschreibung bezieht den Erlebenden und seine Bewertung einer gegebenen Situation ein. Dabei kann ein und dieselbe Befindlichkeit je nach Perspektive verschieden perzipiert werden. Dies kommt lexikalisch durch unterschiedliche Wortklassen zum Ausdruck. Emotionen werden in unterschiedlichen Kulturen verschieden konzeptualisiert, was seinen Ausdruck in speziellen Lexikalisierungsmustern findet. Anhand empirischer Daten aufgrund der Untersuchung zum Übersetzungsprozeß eines Textes vom Englischen ins Deutsche zeigte sie unter anderem auf, daß kaum ein semantsiches Feld in unterschiedlichen Sprachen so reichhaltig lexikalisiert ist wie dasjenige der Emotionen.



Anita Fetzer („Zurückweisungen: freundliche und unfreundliche Varianten“) verstand Emotionen als auf rationale und intentionale Weise kommunizierte Phänomene. Sie versuchte, den Widerspruch herauszuarbeiten, der darin besteht, Sprechhandlungen der Zurückweisung mit der emotiven Seite der Freundlichkeit zu kombinieren. So wird in anglo-amerikanischen Alltagssituationen eine freundliche Einstellung zu einer gegebenen Position tendenziell explizit kommuniziert, eine freundliche Einstellung zum Kommunikationspartner dagegen eher implizit (vgl. That´s a good point gegenüber That is very kind of you). Sie zeigte, wie Sprecher und Sprecherinnen den genannten Widerspruch zwischen dem Nicht-Akzeptieren einer Entscheidung in Verbindung mit einer freundlichen interpersonalen Einstellung bewältigen, und setzte dieses komplexe Situationsgefüge zu sprachlichen Mitteln in Beziehung. Ihre conclusio bestand darin, für einen ganzheitlich orientierten Fremdsprachenunterricht zu plädieren, der an der Konstruktion und an dem Austausch von Bedeutungen orientiert ist, und nicht am propositionalen Schlagabtausch.



Renate Koziel untersuchte die „Konzeptualisierung von Ärger, Wut und Zorn in der deutschen Sprache“ unter Bezugnahme auf Kollokationen mit verbalen und adjektivischen Kollokatoren. Von Interesse war für sie dabei die Beziehung, die zwischen sprachlichen Ausdrücken und entsprechenden kognitiven Vorstellungen existiert. Die Analyse der Kollokatoren von Gefühlen wie Ärger, Wut und Zorn läßt darauf schließen, daß das Gefühl als ein Prozeß mit einer Anfangs-, einer Entwicklungs- und einer Endphase konzeptualisiert wird: Emotionen entstehen, intensivieren sich, können beherrschend wirken, sich gegen eine Person oder eine Sache richten, nachlassen, verschwinden oder sich in Handlung verwandeln.



Klaus-Dieter Baumann verband in seinem Vortrag „Emotionen in der Fachkommunikation: ein kommunikativ-kognitiver Ansatz“ das Phänomen Emotionalität mit dem Gesichtspunkt der Verständlichkeit von Fachtexten: Emotionalität beeinflußt deren Informationsverarbeitung und somit die Beziehung zwischen Fachtextautor und Fachtextadressat – und dies in jeweils unterschiedlicher Weise auf den verschiedenen Ebenen der Fachkommunikation. Diese Wechselbeziehung zwischen der Emotionalität des Fachtextes einerseits und dessen Verständlichkeit andererseits zeigte er anhand empirischer Fachtextanalysen des Deutschen und Englischen auf.



Wie Ian Iluk in seinem Vortrag mit dem Titels „´So ein süßer Wurm´. - Affektonyme im Deutschen und Polnischen“ feststellte, ist der Ausdruck positiver Gefühle nicht nur wichtig für die Pflege guter Beziehungen zwischen Menschen in den unterschiedlichsten Kommunikationskontexten, sondern deren Bekundung ist kein einmaliger kommunikativer Akt: Positive Gefühle werden gegenüber dem Interaktionspartner / den Interaktionspartnern immer wieder geäußert und jeweils erneut zugesichert. Auf diesem Hintergrund zeigte Iluk die verbale Manifestation von Sympathie, Zuwendung, Zuneigung, Liebe und Verehrung in der deutschen und polnischen Sprachkultur auf und erarbeitete die kulturellen Normen und Ausdrucksmuster, die in diesem Zusammenhang gelten.



Anna Chernogubova, die eine „Untersuchung der assoziativ-emotionalen Lexik als Mittel zur Konzeptualisierung des emotionalen Weltbildes in der deutschen Poesie als Forschungskonzept der kognitiven Linguistik“ vornahm, ging von der Auffassung aus, daß eine enge Verbindung existert zwischen den assoziativ-emotionalen Strukturen von Wörtern und der Repräsentation von Weltwissen. Nach ihrer Hypothese können mit Wortkonzepten, die mentale Struktureinheiten darstellen, die referenzunabhängigen Teile des Weltwissens assoziiert werden. Als Korpus diente ihr Dichtung, da hierin eine Welt en miniature verborgen liege. Der Schlüssel zu dieser Welt liege häufig in einem Bild, einer Assoziation, einem Erlebnis. Dies wiederum ziehe eine gesamte Bilder- und Gedankenwelt nach sich. Auf diese Weise kann mit Hilfe einer Analyse der assoziativ-emotionalen Lexik die Weltanschauung einzelner Autoren erfaßt werden, was nicht nur für den Deutschunterricht interessant sein, sondern auch Einsichten über die Besonderheiten der deutschen Sprache vermitteln könne.



Gegenstand von Michael Wittwers empirisch-induktiver Untersuchung „Emotion in der fachexternen pädiatrischen Kommunkation“ war die Beschreibung einer Untersuchung der mündlichen Arzt-Patient-Kommunikation in der Kinderheilkunde unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Emotionen in der Kommunikationssituation Krankheit und dem Betreben der Vermeidung von Kommunikationskonflikten, wobei er sowohl Semiotik als auch Körpersprache einbezog und verschiedene Ansätze – den psychologischen, den kognitions- und kommunikationswissenschaftlichen sowie den fachsprachlichen – verknüpfte. Ziel seiner Untersuchung ist eine Sensibilisierung von Ärzten und medizinischem Personal für die Rolle von Emotionen in der Kommunikation mit kranken Kindern.



John Smeds untersuchte in seinem Vortrag „Interpretability and Relevance in Foreign Language Education“ eine theoretischen Rahmen für die Benutzung narrativer Texte in kommunikativen Übungen. Er ging dabei aus von Dan Sperbers und Eirde Wilsons Relevance Theory (1986), die besagt, daß eine Situation, in der ein Lerner in einem Kontext eine Fremdsprache benutzt, in dem die anderen Sprecher diese Sprache als ihre Muttersprache verwenden, ein spezieller Fall für die relevance theory sei. Smeds argumentierte in der Weise, daß Enqvists (1991) Beobachtungen hinsichtlich des Konzeptes der interpretability dasjenige der relevance vertiefe, und daß eine Kombination von intepretablility und relevance zu einem Modell führen wird, das zu einem besseren Verständnis der Kommunikationssituation im Fremdsprachenunterricht beiträgt. Nach Smeds Ansicht wird aus diesem Modell folgen, daß die relevance im Fremdsprachenlernprozeß durch die Benutzung narrativer Texttypen in Bruners Sinn erhöht werden kann.



Gottfried Keller („Neurobiologische Grundlagen des interkulturellen Lernens“) ging in seinem Vortrag davon aus, daß die Ergebnisse des radikalen Konstruktivismus zu allgemein gehalten sind, soll interkulturelles Lernen begründet und geplant werden. Daher legte er sieben relevante Gehirntätigkeiten zugrunde, die – in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander – den Lernprozeß bestimmen. Diese Gehirntätigkeiten bedingen und erzeugen Emotionen (Amygdala), Kognitionen (Thalamus), Stereotypisierungen (starre Synapsen) Differenzierungen (plastische Synapsen), Wertvorstellungen (Meterepräsentationen) Kausalbeziehungen (assemblies) und gruppendynamische Prozessse (Hypothalamus). Aus ihrem Wechselspiel kann interkulturelles Lernen besser verstanden werden, und es können methodisch-didaktische Folgerungen für das interkulturelle Lernen abgeleitet werden.



Tatjana Parmenova („Hypothetische Modalität als kognitive Kategorie“) stellte die Bedeutung der Modalität in dem Sinne heraus, als sich in ihr die Vorstellung des Sprechers in der realen Welt und seine Interpretation dieser unmittelbar widerspiegelt. In der Rede geht der Mensch über die Grenzen des wahrgenommenen und von ihm gedanklich berarbeiteten Weltbides hinaus, interpretiert reales Geschehen und prognostiziert zukünftiges Geschehen. Die Hypothetizität reflektiert somit kognitive Resultate und dient der Bildung möglicher Welten. Als Korrelation zwischen hypothetischer und realer Situation grenzte Parmenova drei Hauptvarianten aus: positive oder negative Bewertungen des Sprechers hinsichtlich einer vergangenen oder gegenwärtigen Sachlage; den Wunsch, eine in der Realität existierende Situation zu erhalten; eine vorgestellte Veränderung, eine Umbildung einer realen Situation als Reaktion auf ihre Nicht-Übereinstimmung. Pragmatisch gesehen, können hypothetische Äußerungen bei direkten und indirekten Spechakten mitwirken, z. B. einer Frage als Anregung (Könnten Sie mir nicht helfen?), eine Verneinung als Behauptung (Allein hätte ich gar nichts geschafft) oder auch Irrealität als Konstatierung von Realität (Wenn ich deine Hilfe nicht gehabt hätte, wäre das Buch nicht herausgekommen). Es entsteht so ein Übergangsbereich, in dem formal hypothetische Äußerungen zur Darstellung impretativer oder realer Situationen dienen.



Die Arbeitsgruppe 2 stand unter dem Themenbereich „Emotion und Kognition beim Fremdsprachenlernen“ und wurde von Manfred Raupach und Dieter Wolf geleitet.



In deren erstem Vortrag beschäftigten sich Martha Gibson und Britta Hufeisen mit dem Thema „Emotionale und kognitive Faktoren beim Fremdsprachenlernen Mehrsprachiger“. Dabei stellten sie zunächst ein Faktorenmodell zum multiplen Sprachenlernen vor, wobei insbesondere emotionale und kognitive Aspekte diskutiert wurden. Darüber hinaus analysierten sie empirische Daten der Korrelation zwischen der Ausgeprägtheit einzelner ausgegrenzter emotionaler und kognitiver Faktoren, wie z. B. awareness, control, anxiety oder Motivation zum einen und tatsächlicher Performanz zum anderen.



Katja Lochtmann und Madeline Lutjeharms („Attitüden zu Fremdsprachen und zum Fremdsprachenlernen“) untersuchten das Image des Deutschen angesichts seiner in Belgien immer problematischer werdenden Position als gelernte bzw. zu lernende Fremdsprache. Dabei befragten sie vorwiegend Studierende der Betriebswirtschaft im neunten Semester und Studierende in den ersten drei Semestern der Sprach- und Literaturwissenschaften. Sie versuchten, Attitüden zu ermitteln, indem die Befragten um Aussagen über das Fremdspachenlernen allgemein gebeten wurden, hinsichtlich des Images des Fremdssprachen Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch und - durch offene Assoziationsfragen zu den vier Sprachen -, indem sie jeweils maximal drei Substantive, Adjektive und Namen bekannter Persönlichkeiten nennen durften. Dabei stellte es sich als nicht unproblematisch heraus, signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Studienrichtungen, den Sprachen und der Sprachlernerfahrung festzustellen, wie auch die Frage zu beantworten, wie das Image einer Fremdsprache die Attitüde zu dieser Sprache und zum Fremdsprachenlernen allgemein beeinflußt.



Astrid Dahnken stellte in ihrem Vortrag „Sprachbewußtheit und Sprachlernbewußtheit von Hauptschülerinnen und Hauptschülern der 10. Klasse. Die Fremdsprache Englisch aus Sicht der Schülerinnen und Schüler“ ihr Dissertationsprojekt vor, dessen Zielgruppe Schüler und Schülerinnen sind, die sich am Ende ihrer schulischen Sozialisation befinden, deren persönliche Lerngeschichte jedoch nicht von Leistungserfolgen dominiert wird. Ziel ihrer Untersuchung ist es, aufgrund ihrer Daten zu einer gleichermaßen fach- und lernerorientierten didaktischen Strukturierung des Unterrichts zu gelangen, die eine Verbindung ermöglicht zwischen den Vorstellungen der Schüler und den an sie gestellten Forderungen. Man darf gespannt sein, welche Schlußfolgerungen aus den später veröffentlichten Ergebnissen des Projekts zu ziehen sein werden.



Uwe Multhaup („Motivation und Lernentwicklung“) ging aus von der konsequentesten Art handlungsorientierten Lernens: dem Ansatz, der mit dem Begriff Lernerautonomie belegt wird. Dabei übernehmen Schüler die Mitverantwortung für ihre Lernprozesse; der Lehrer übernimmt die Rolle des Helfers, nicht diejenige des belehrenden Instrukteurs. Gefördert werden sollen solche Lernstrategien, die das Lernverhalten des Schüler positiv beeinflussen. Ziel ist die Förderung einer Entwicklung, die die Lernenden zu einer positiven Einstellung gegenüber den Herausforderungen von Sprachlehrprozessen führt. Eine solche Einflußnahme auf das Lernerverhalten nennt Multhaup Lernerentwicklung. Als Gefahr stellte er heraus, daß Lernerautonomie fehlinterpretiert werden kann als eine unstillbare Lernbegierde: Sie entfaltet sich keineswegs immer zwangsläufig, wenn den Schülern Freiheit gegeben wird, statt ihnen Zwänge aufzuerlegen. Lernmotivation ist keine Konstante, sondern vielmehr eine veränderliche Größe. Multhaup setzte Lernentwicklung einerseits und die psychologischen Erkenntnisse über Sprachentwicklungsstufen andererseits theoretisch in Beziehung zueinander. Dabei ergab sich unter anderem aus neurowissenschaftlicher Sicht das Phänomen, daß kein Prozeß ohne eine ihn auslösende Motivation stattfindet. Handlungs- und Lernmotivation ist niemals frei von emotionalen Komponenten, aber Motivation reicht dann allein zum Handeln nicht aus, wenn ihr kognitiv keine Realisierungen entsprechen. Sprachlehrprozesse sind somit immer form- und funktionsorientiert, also bedeutungs- bzw. kommunikationsorientiert.



Anna Gnoinska („The Role to Confidence in Foreign Language Acquisition“) untersuchte die Beziehung zwischen dem Selbstvertrauen von Lernenden und Testangst und Testergebnissen beim Leseverstehen, stellte ihre Schlußfolgerungen hinsichtlich der Rolle des Selbstvertrauens beim erfolgreichen Fremdsprachenlernen vor und zeigte Möglichkeiten auf, um die Selbsteinschätzung von Lernern und ihr Selbstbewußtsein zu verbessern: Selbstbewußte Lerner fühlen sich kompetenter, sie sind risikofreudiger und auch mutiger, wenn es darum geht, Fehler in Kauf zu nehmen. Sie beteiligen sich mehr am Unterricht und erzielen bessere Resultate als solche Lerner, die mit geringem oder gar keinem Selbstvertrauen ausgestattet sind.



Swantje Ehlers untersuchte den „Einfluß von Haltungen, Einstellungen, Selbstachtung auf den L2-Literalitätserwerb von Minderheitenkindern“ und versuchte, das Lesen in sozialisatorischer Perspektive mit der sozialen Situiertheit von Leseerwerbsprozessen bei Minderheitenkindern in Beziehung zu setzen. Dabei hob sie besonders auf solche Lernervariablen ab wie Motivation, Selbstachtung und kulturelle Orientierung und stellte heraus, daß diese eine affektive Grundlage bilden, die für den Leseerwerb in der Zweitsprache fördernd oder behindern sein können.



Ausgehend von der großen Bedeutung einer produktiv wie rezeptiv adäquaten Aussprache für den Erfolg mündlicher Kommunikation zeigte Isabelle Mordellet-Roggenbuck (“Emotion und Kognition beim Aussprachelernen“), wie die Herausbildung der prosodischen und lautlichen Hörmuster in der Erstsprache unmittelbar anknüpfen an die ersten emotionalen und sozialen Erfahrungen des Babys. Darüber hinaus zeigte sie auf, daß die emotionale Reaktion eines Hörers einem fremden Akzent gegenüber nicht selten ein kulturelles und ästhetisches Bild reflektiert, das eine Mehrheit von Sprechern einer Nationalsprache von einer anderen Sprache hat. Diese Überlegungen mündeten in die Vorstellung didaktsich-methodischer Vorschläge, dies es gestatten, der Problematik des Aussprachelernens mehr Rechnung zu tragen als bisher.



Federica Missaglia („Phonetische Aspekte emotionaler Sprechweise und ihre Implikationen für den Daf-Unterricht“) verwies zunächst auf das Forschungsdesiderat der empirischen Untermauerung der Forderung nach verstärkter Beachtung emotionaler Aspekte im Rahmen der Ausspracheschulung. Dabei bezog sie sich auf das Sprachenpaar Deutsch-Italienisch. Aufgrund praktischer Unterrichtserfahrung konnte sie feststellen, daß die Schaffung bewußter Aufmerksamkeit für prosodische Regelmäßigkeiten und für emotional-affektive Aspekte von Kommunikationssituationen in der Fremdsprache zu deutlich besseren Ergebnissen führt als das sterile Memorieren von Lautbildern und Automatismen von Artikulationsmustern. Sie forderte daher eine Umkehrung der Prioritäten im Rahmen der Ausspracheschulung für Fremdsprachenlerner: von der Prosodie hin zu den Segmenten. Auf dieser Grundlage stellte sie die Hypothese auf, daß die Kenntnis der phonologischen Eigenschaften des Deutschen und Italienischen sowie des Verhaltens italienischer Deutschlerner einerseits und die zu Elaborationen und Reduktionen bei emotionaler Sprechweise vorliegenden Ergebnisse andererseits in sinnvoller Weise im Rahmen der fremdsprachigen Ausspracheschulung kombiniert werden können, was Ialienern zu einer besseren Aussprache des Deutschen verhelfen kann.




Krysztof Nerlicki äußerte sich „Zu einigen individuellen Faktoren und deren (möglichen) Auswirkungen auf das Weiterlernen einer Fremdsprache“ und berücksichtigte dabei insbesondere die an polnischen Hochschulen übliche, besondere Form des Fremdsprachenlernens, die sich dadurch auszeichnet, daß dem Sachfachunterricht mehr Zeit gewidmet wird als traditionellen sprachpraktischen Übungen. Zudem bringen die Studierenden unterschiedliche Sprachlern- und Sprachgebrauchserfahrungen mit, die sich unter anderem auf die kognitiven Lernstile auswirken. Hinsichtlich des Weiterlernens des Deutschen im Philologiestudium strich er im wesentlichen zwei Probleme heraus: die charakteristischen kognitiven und emotianalen Merkmale der Probanden seiner Fragebogenaktion im Kontext des universitären Grammatikunterrichts, bei denen Anzeichen von Fossilisierungen zu bemerken sind, und die unterrichtlichen Implikationen, die damit verbunden sind, daß Probanden sich in den zugrundeliegenden Fragebögen selbst als unsicher, schüchtern und verlegen bezeichnen.



Dieter Krohn beschäftigte sich mit dem Thema „Angst und Leistung im englischen Anfangsunterricht“ und führte quantitative empirische Untersuchungen sowie Schülerinterviews im Englischunterricht der 5./6. Jahrgangsstufe durch. Dabei arbeitete er die enorme Bedeutung der Angst für die (negative) Leistung im Englischunterricht heraus und untersuchte unterschiedliche Auswirkungen der Angst auf verschiedene Leistungsbereiche sowie angstmachende Faktoren im Englischuntericht – mit dem Ziel der Erarbeitung von Konsequenzen für die fremdsprachendidaktische Forschung, die Lehreraus- und weiterbildung sowie den englischen Anfangsunterricht, und dem Bestreben, den Schülern ein mehr oder minder angstfreies Lernen zu ermöglichen und sie durch die Schaffung einer positiven Lernatmosphäre zu besseren Leistungen zu führen.



Elisa Cavallini („Miniszenen im Anfängerunterricht. Wie NullanfängerInnen aus der Reserve gelockt werden können“) stellte ein eigenes Projekt vor, in dem sie Schülern und Schülerinnen (27 elfjährige Nullanfänger aus einer italienischen scuola media (Realschule, 6. Schuljahr)) einen positiven emotionalen Umgang mit der in Italien für schwierig gehaltenen deutschen Sprache ermöglichen wollte. Nach ihrer These locke die Förderung der Eigenaktivität von Schülern diese aus der Reserve und rege sie zu sprachlichem Handeln an. Unter mehreren didaktischen Maßnahmen stellte sie die Inszenierung von Miniszenen heraus, in denen spielerisch neue Wörter und Ausdrücke gelernt werden. Die Schüler und Schülerinnen verarbeiten ihr Weltwissen spielerisch, um neue Situationen im Unterricht zu verstehen. Der Zweck dieser Unterrichtsform bestand darin, eine tendenziell authentische Kommunikation zu erzielen und Grammatik und Sprachregeln in den Hintergrund treten zu lassen. Als Ergebnisse stellten sich heraus, daß die Lernenden Spaß haben und positiv überrascht sind über ihr Verständnis und ihre deduktiven Fähigkeiten; sie sind nicht nur emotional aktiv, sondern auch kognitiv beteiligt. Es zeigte sich, daß die in solchen Miniszenen behandelten Ausdrücke von den Schülern erfolgreich memoriert und aktiv wiederverwendet werden konnten.



Armin Volkmar Wernsing sprach „Über die Zuversicht und andere Emotionen beim Fremdsprachenlernen“ und machte in seinen Ausführungen die emotionale Komplexität deutlich, der der Fremdsprachenunterricht unterworfen ist, und die bei weitem nicht nur aus positiven Empfindungen besteht. Anhand eines Beispiels, das im folgenden lediglich verkürzt dargestellt werden könnte – aus diesem Grunde verzichten wir hier auf eine Beschreibung und verweisen auf die zu Beginn dieses Tagungsberichtes erwähnten, in naher Zukunft anstehenden Publikationen -, machte er deutlich, in welcher Weise ein Unterricht dann zu der Bewältigung von Schwierigkeiten beiträgt, und dabei Zuversicht wecken kann, wenn er handlungsorientiert ausgerichtet ist.



Die Arbeitsgruppe 3 wurde von Michael Wendt und Eberhard Kleinschmidt geleitet und trug den Titel „Emotion in Kognition in der Fremdsprachenlehre“.



Elena Nolte-Borovkova und Anastassiya Semyonova („Emotion und Kognition: Fremdsprachenlehre im Osten und Westen“) stellten die westeuropäische Didaktik der vergangenen Jahre und Jahrzenhte mit ihrer kommunikativ-pragmatischen Ausrichtung der sowjetischen Didaktik mit ihrer kognitiv-kommunikativen Orientierung gegenüber. Sie wiesen darauf hin, daß – während im Westen größerer Wert auf die Emotionen und die Motivierung der Fremdsprachenlerner gelegt wurde, im Osten die Kognitivierung und das Vermitteln der Sprache als System bedeutsamer war. Entsprechend unterschieden sich Curricula, Unterrichtsphasen, Arbeitsformen, Lehrerrolle und Lehrwerk. Sie machten deutlich, daß angesichts des zunehmenden Exports und Imports von Unterrichtskonzepten und Lerngewohnheiten die jeweilige Lehr- und Lernkultur von dem Lehrenden mitberücksichtigt werden soll, die ausländische Studierende aus ihren Heimatländern mitbringen. Von Bedeutung dabei ist jedoch, daß der politische Umbruch in Osteuropa einerseits und die Diskussion über die ´kognitive Wende´ im Westen andererseits eine Annäherung beider Tendenzen mit sich gebracht hat. Ihre Reflexionen wandten sie auf Ergebnisse eigener Befragungen von DaF-Lernern an und zeigten, wie sich die beiden besprochenen Tendenzen in Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache niederschlagen.



Adelheid Schumann („Zur Förderung der Motivation im Französischuntericht“) zeigte die grundsätzliche Problematikdes Französischunterrichts auf, der sich aktuell zwischen dem Englischen einerseits und dem Spansichen andererseits behaupten will – behaupten muß. Zu diesem Zweck bedarf er dringend eines neuen Motivationsschubes. In diesem Zusammenhang stellte sie die Schlüsslerolle des Lehrers heraus: Seine Begeisterung für das Fach, die Schaffung eines guten Lernklimas durch ihn, seine Themen- und Textauswahl und die Phantasie, die er im Hinblick auf die von ihm verwendeten Unterrichtsmethoden an den Tag legt, definierte sie als entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklng von Motivation bei Schülern, das Französische zu erlernen.



Margit Reitbauer und Renate Vaupetitsch („Die E-Rolle und die K-Rolle. Lehrerrollen zwischen Emotion und Kognition") wollten – angesichts der unterschiedlichen Rollen, die dem Lehrer in der bisheringen Geschichte der Fremdsprachendidaktik zugedacht worden sind - herausfinden, in wieweit der aktuell angenommene Paradigmenwechsel, der dem Lehrer eine eher passive Rolle zuweist, stattgefunden hat, und ob und wie er von Schülern wahrgenommen wird. Daher baten sie ihre Erstsemesterstudierenden, ihren besten bzw. ihren schlechtesten Lehrer zu beschreiben und erstellten eine Frequenzanalyse von Stichwörtern, die Schlüsse auf die von den Stuirenden wahrgenommenen Lehrerrollen zulassen könnten. In einer Co-Textanalyse setzten sie diese Schlüsselbegriffe mit Assoziationen in Beziehung. Als Ergebnisse ließen sich formulieren, daß Lehrern und Lehrerinnen nach wie vor die zentrale Rolle zukommt.Sie lösen weiterhin starke emotionale Reaktionen aus - positive wie negative. Lehrerintervention wird in der Regel positiv warhgenommen, ihr Fehlen dagegen häufig als negativ und verunsichernd. Ihrer Meinung nach könnte autonomes Lernen dann gefördert werden, wenn es gelänge, bei den Lernenden Selbstreflexionsprozesse hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der Lehrerrolle einerseits und ihrem eigenen Lernertyp andererseits auszulösen.



Engelbert Thaler sprach über „Studentenaktivierende Lehrtechniken und Lernarrangements“ – in Unterrichtskontexten, die immer noch weitgehend instruktivistisch geprägt sind. Konstruktivistisch inspirierte universitäre Veranstaltungen stellen auch heute noch eher die Ausnahme dar. Er stellte unterschiedliche studentenaktivierende Lehrtechniken und Lernarrangements vor, wie z. B. buzz group, fish bowl, die Blitzumfrage und das adressatengenerierte Referat – und untersuchte sie auf ihr kommunikativ-handlungsorientiertes Potential – ein Ansatz, der für die Didaktik der näheren Zukunft vielversprechend anmutet.



Nicole Marx („´That´s easy, it´s like in English´. Bilanz einer (Sprachlern-)Sensibilisierung im Deutsch-nach-Englisch-Tertiärsprachenunterricht“) problematisierte die Situation, die an vielen deutschen Hochschulen innerhalb der internationalen Studiengänge gegeben ist, in denen ausländische Studierende nach Deutschland kommen, hier ihr Studienprogramnm auf Englisch absolvieren, jedoch bei ihrer Ankunft über nicht hinreichende Deutschkenntnisse verfügen. Diese Lernenden verschiedener Muttersprachen müssen gleichzeitig gemeinsam auf Englisch studieren und dabei Deutsch lernen, um Seminare in dieser Sprache besuchen zu können. Die Referentin stellte einen der existierenden Ansätze vor, in denen versucht wird, die geschilderte Situation zu meistern: den an der TU Darmstadt eingesetzten Sensibilisierungsunterricht – ebenfalls ein Ansatz, der durchaus vielversprechend anmutete.



Margarete Ott („Erzählte Geschichte/n. Geschichtliche Erfahrungen im Medium der (Fremd)sprache“) verstand Fremdsprachenuntericht als Aneignungsprozeß im Rahmen des kommunikativen Ansatzes. Im Unterricht müssen für die Lernenden Situationen geschaffen werden, in denen sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen können. Eine dauerhafte Motivierung der Lernenden war für die Referentin nur dann gegeben, wenn dem Lernen ein persönlicher Sinn zugeschrieben werden kann – und dies nicht nur kognitiv, sondern auch emotional. Sie forderte, daß bei der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern zu berücksichtigen ist, welche Rolle den Studierenden zugestanden wird, wobei sie idealerweise von einer Übereinstimmung zwischen hochschuldidaktischen und (auf die Schule ausgerichteten) fachdidaktischen Zielsetzungen ausging. Für die Referentin lassen sich alle universitären Lehrformen in der beschriebenen Art darbringen, besonders jedoch fachdidaktische und sprachpraktische Veranstaltungen. Dies zeigte sie anhand eines konkreten Beispiels eines sprachpraktischen Seminars in Bezug auf die Germanistik in Ungarn.



Antonie Hornung und Antonella Nardi sprachen über „Die Vernetzung von Emotion und Kognition in der DaF-Lehrer/innenausbildung an der Scuola di Specializzazione per l´Insegnamento Secondario (SSIS) an der Universität Modena e Reggio Emilia“. Sie verfolgten dabei den vermeintlich neuen methodisch-didaktischen Ansatz des Immersion bzw. des Sprachbades, bei dem unterschiedliche Ziele vernetzt werden. So entstehen zwischen den Studierenden in ständigem Spürach- und Schriftwechsel mit den Lehrenden Tandemsituationen, in denen die Studierenden dazu ermuntert werden, den eigenen Spracherwerbsprozeß voranzutreiben und sich selbst als Lernende und Lehrende kennenzulernen bzw. in dieser Form zu agieren. Auf diese Weise werden authentische didaktische Situationen generiert. Die so geschaffenen Bedingungen authentischer Kommunikation führen bei den Studierenden zu Reflexionen über ihre eigenen emotionalen und intellektuellen Reaktionen, wobei über das eigene situative Lernen hinaus eine doppelte Form der Bewußtheit entsteht: language awareness und didactic awareness.



Lara Hannes untersuchte die „Schulung der emotionalen Gesprächsintentionen in Eurolingua – einem Lehrwerk der Erwachsenenbildung“ und legte als Ziel ihrer Untersuchung von Eurolingua Français fest herauszuarbeiten, in welchem Maße die Lernenden dazu in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Gefühle auszudrücken und sich nach den Gefühlen anderer zu erkundigen. Dazu untersuchte sie Texte, Übungen und Lernzielbeschreibungen aus dem Lehrwerk und bezog die dport auftretenden Gesprächsintentionen in das von Kleinschmidt aufgestellte Kommunikative Minimum (1988) mit Blick auf das auf Volkshochschullerner ausgerichtete Certificat de Français. Grundfrage war, welche emotionalen Absichten in Eurolingua eingeübt und welche nicht geschult werden. Dabei stellte sich heraus, daß das Lehrwerk einige dieser Gesichtspunkte hervorragend herausarbeitet, andere dagegen in bedauernswerter Weise nahezu unberücksichtigt läßt.



Christiane Neveling („Wörter lernen mit Wörternetzen. Ein Strategientraining im Französischuntericht“) beschrieb eine eigene Untersuchung, deren Gegenstand der Aufbau mentaler Lexikonstrukturen bei Französisichlernenden ist. Sie verfolgte dabei eine lernpsychologisch-didaktische und eine psycholinguistische Zielsetzung. In lernpsychologisch-didaktischer Hinsicht konfrontierte sie Französisch-Schüler einer 11. Klasse in einem integrierten vierphasigen Strategientraining mit der Wörternetz-Strategie. Diese umfaßt bestimmt Teilstrategien wie Ordnungs-, Elaborations-, Wiederholungsstrategien und – darüber hinaus – Aufzeichnungstechniken, deren Kennzeichen eine multiple und multimodale Vernetztheit ist. Im Vergleich zu der immer noch sehr verbreiteten Strategie, neue Vokabeln mit Hilfe der „Zuhalte-Methode“ zu lernen, fand sie heraus, daß die Wörternetz-Strategie der erstgenannten „Methode“ weit überlegen ist. Psycholinguistisch umfaßt ihre Arbeit eine weitere Pilotstudie, in der der Nachweis darüber erbracht werden soll, daß Wörternetze als Operationsalisierungselemente dazu geeignet sind, die mentalen Strukturen des lernenrsprachlichen Lexikons abzubilden. Im Vergleich zu bestehenden, erprobten Forschungmethoden (für die Erfassung sowohl von Lernstrategien (retrospektive und introspektive Methoden) als auch von mentalen Lexikstrukturen (z.B. Assoziationstest und Bildmethode) ergab sich, daß die Wörternetz-Methode sich als äußerst gegenstandsadäquat erweist. Der Validitätsnachweis dieser Methode ergab, daß das Wörternetz auf kognitiver Ebene eine lexikalische Strategie repräsentiert, die es Lernern erlaubt, sich erfolgreich und dauerhaft neue Wörter anzueignen. Emotional gesehen, ist sie zudem mit erhöhter Lernfreude auf Seiten der Schülerinnen und Schüler verbunden – eine affektive Komponente, die für das schulische Wörrtelernen von großer Bedeutung ist.



Udo Hennig (“Zur Curricularisierung des verb im schulischen Englischunterricht“) ging von dem Phänomen aus, daß Grammatikunterricht bei Lernenden emotional am stärksten negativ besetzt ist. Im Anschluß an die Hinterfragung dieser Problematik schlug er eine Curricularisierung des Bereichs ´Verb´ vor, die holistisch ist und dabei den Anspruch erhebt, sinnstiftende mentale Aktivitäten der Lernenden initiieren und fördern zu können. Dies stellte für ihn eine Grundvoraussetzung für eine lernfördernde emotionale Befindlichkeit der Lernenden dar, die seiner Meinung nach auf andere moderne Fremdsprachen übrtragbar ist.



Ausgehend von der kommunikativen Wende, in der die pragmatische Dimension von Sprache betont wurde, ging Axel Polleti („Grammatik und Gefühle? Zur Neubewertung der affektiven Dimension im Fremdsprachenunterricht“) davon aus, daß Sprachverwendung auch in situativer Einbettung keineswegs automatisch vom Lerner als interessant empfunden wird. Bevor dies passiert, muß jede, in das Gehirn eingehende Information einen affektiven Filter passieren, bevor sie weiterverarbeitet wird. Grammatikuntericht muß somit all jene Parameter berücksichtigen, die diesen affektiven Filter ansprechen, also beispielsweise folgende Bereiche: die Beziehungsdimension von Sprache, die Ebene der Selbstoffenbarung hinsichtlich der Stimmungen, Gefühle, Befindlichkeiten und Einstellungen, die den Sprecher im Moment des Sprechens bewegen sowie prosodische Parameter wie Klang, Rhythmus und Intonation. Nur die Einbeziehung dieser Elemente bewirkt nach Meinung des Referenten, daß Grammatikunterricht „verlebendigt“ werden kann.



Andreas Marschollek sprach über die „Kognitive und affektive Flexibilität durch fremde Sprachen in der Primarstufe“) und faßte unter diesem Begriff solche Verhaltensmerkmale zusammen, die eine Begegnung mit dem Neuen und Fremden erleichtern – angesichts einer Epoche wie der Gegenwärtigen, in der Fremdsprachenunterricht auch in der Grundschule immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Er untersuchte den gegenseitigen Einfluß, der zwischen kognitiver und affektiver Flexibilität sowie der Identität, den Einstellungen und Sprache in ihrer Entwicklung besteht. In diesem Kontext erlangt das Bewußtsein eine besondere Bedeutung. Marschollek unterstrich den Beitrag, den der Unterricht in fremden Sprachen in der Primarstufe zur Förderung der kognitiven und affektiven Flexibilität leisten kann, und folgte der Hypothese, daß ein solcher Beitrag möglich ist – unter der Bedingung, daß der Unterricht die Schüler immer wieder gezielt an eine bewußte Auseinandersetzung mit Sprache, Identitöt und Einstellungen heranführt.



Sabine Ehrhart berichtete über „Unterschiedliche Lehrstrategien und ihr(en) Niederschlag in der Lernerproduktion“ im Rahmen des an der Universität des Saarlandes seit dem Schuljahresbeginn 2000/2001 durchgeführten Forschungsprojekts „Frühfranzösisch“, das die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs „Frühfranzösisch in saarländischen Grundschulen ab der ersten Klasse“ darstellt. Auf der Basis von mehr als 150 Stunden an Audio- und Videoaufzeichungen von Unterrichtsstunden, über die das Projektkorpus verfügt, konnte bislang herausgefunden werden, daß die didaktische Ausgangsposition des Lehrers bestimmt, auf welche Strategien der Wissensvermittlung und der Motivationssteigerung er im konkreten Untericht zurückgreift. Von Bedeutung sind hier in didaktischer Hinsicht der Ausbildungsweg und die praktischen Erfahrungen des Lehrers in der Fremdsprahendidaktik, in sprachlich-kultureller Hinsicht seine Kompetenzen in der Ziel und der Ausgangssprache, seine Attitüden hinsichtlich des code switching unbd des code choice, seine interkulturellen Fähigkeiten. Im Vergleich zur regulären Unterrichtssituation läßt der Modellversuch den Lehrern mehr Möglichkeiten, aus einem breiteren Spektrum an Lehrstrategien auszuwählen. Aus der Analyse der in den Unterrichtssequenzen vonstatten gegangenen Lehrer-Schüler-Dialoge wurden die Auswirkungen unterschiedlicher Vorgehensweisen auf die Schülerreaktionen untersucht, wobei es Ziel der Projektes sein wird, aus dieser Faktorenkomplexion Konsequenzen für die Optimierung und die Effizienz des Fremdsprachenunterrichts zu ziehen.



Almut Meyer („Musikkulturen im Fremdsprachenunterricht. Ein Interpretationsmodell von Musiktexten als Musikkultur am Beispiel des DaF-Unterichts“) monierte, daß obwohl die Fremdsprachendidaktik seit langem sowohl das troditionelle Liederrepertoire als auch zum Teil Instrumentalmusik in ihren Unterrichtskonzepten berücksichtigt, die musikkulturellen Inhalte der Texte im Lehrstoff in der Regel unbeachtet bleiben und Musik bisher eine vor allem dekorative Funktion im Unterricht zu besitzen scheint. Sie stellte Musik dagegen als einen angemessenen Weg heraus, Kulturen kennenzulernen. Musik ist nicht nur ein universelles Phänomen menschlicher Gesellschaften, sie leitet ihre Bedeutung auch aus ihrem jeweiligen kulturspezifischen Kontext ab. Meyer schrieb somit der Musik eine Vermittlerrolle zu, die es ermöglicht, den Lernern im Fremdsprachenunterricht die Kultur der Zielsprache näherzubringen und dadurch auch Reflexionen über ihre Muttersprache in ihnen anzuregen.



Eckhard Paul stellte einen „Begleitkurs Russisch – ein motivationsförderndes Angebot“ vor, der darauf abzielt, Motivationsfelder zu erschließen, die über das eigene Fach, die vermittelte Fremdsprache, hinausgehen. Dieser Ansatz sei seiner Meinung nach besonders in der gegenwärtigen Lage notwendig, in der durch die vordringliche Existenzsicherung der Studierenden eine veränderte Motivationsstruktur herrscht. Hinzu kommen beispielsweise begrenzte Personalressourcen an den Universitäten und die Tatsache, daß Studierende zuim Teil ohne Vorkenntnisse anderer slawischer Sprachen an das Russische herantreten – Phänomene, die allesamt die Inhomogenität des fremdsprachigen Anfangsniveaus verschärfen.



Der vorliegende Bericht von der Zehnten Göttinger Fachtagung wird im nächsten Heft von Fremdsprachen und Hochschule (FuH 69) mit der Beschreibung der Arbeitsgruppe 4 (Interkulturelle Einstellungen), der Arbeitsgruppe 5 (Emotion und Kognition in der Fremdsprachenforschung) sowie der Arbeitsgruppe 6 (Emotion und Kognition in und mit Medien) fortgesetzt.





Literatur



Bruner, J.: Actual Minds, Possible Worlds. Cambridge: Harvard University Press 1986



Enqvist, N.-E.: On the Interpretablility of Texts in General and of Literary Texts in Particular. In: Sell (1991)



Kleinschmidt, E.: Das kommunikative Potential französischer Strukturübungsprogramme. Ein lehrwerkkritischer Beitrag zur Erarbeitung Kommunikativer Minima. Tübingen: Narr 1988



Schmenk, B.: Geschlechtspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtstypischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforshung. Tübingen: Staufenburg 2002 [Vgl. hierzu auch die Rezension von K. Vogel in FuH 67 (2003), 115-118]



Sell. R.D.: Literary Pragmatics. London: Routledge 1991



Sperber, D. / D. Wilson: Relevance: Communication and Cognition. Oxford: Blackwell 1998

Article: Zehnte Göttinger Fachtagung "Emotion und Kognition im Fremdsprachenunterricht (Teil 2)




Published in: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 69 (2003), 96-113





Zehnte Göttinger Fachtagung „Emotion und Kognition im Fremdsprachenunterricht“ – ein Aufbruch zu neuen Ufern? - Tagungsbericht (2. Teil)





Thomas Tinnefeld (Göttingen)





In diesem zweiten Teil des Tagungsberichtes (der erste Teil ist ja in FuH 68 erschienen) wird über die Arbeitsgruppe 4 („Interkulturelle Einstellungen“), die Arbeitsgruppe 5 („Emotion und Kognition in der Fremdsprachenforschung“) und die Arbeitsgruppe 6 („Emotion und Kognition in und mit Medien“) berichtet.



Die Arbeitsgruppe 4 „Interkulturelle Einstellungen“ wurde geleitet von Adelheid Hu und Dietmar Roesler.



Die Arbeitsgruppe wurde eröffnet durch den Vortrag von Klaus-Börge Boeckmann über das Thema „Fremdsprachenunterricht und kultureller Kontext – DaF in Japan“. Darin referierte er die Ergebnisse einer mehrjährigen Studie, in der der Frage nachgegangen wurde, ob und in welchem Ausmaß ‚westliche‘ kommunikative Unterrichtsmethodik in einem ostasiatischen Kontext angemessen ist und mit welchem Erfolg sie eingesetzt werden kann. Die in der japanischen Gesellschaft bisweilen geforderte Umorientierung des Deutschunterrichts - weg von der traditionellen Betonung von Grammatik und Lektüre und hin zu Kommunikation und interkultureller Verständigung – wird nicht selten mit der Einstellung konfrontiert, nach der kommunikativer Unterricht nicht der japanischen Lehr- und Lernkultur entspreche. In diesem Kontext fand Boeckmann die anfängliche Annahme einer Inter-Methode – also einer Hamonisierung von beiden Ansätzen - anhand seiner empirischen Daten, die Unterrichtsbeobachtung, Lernerbefragungen sowie Interviews mit Lehrern und Lernern einschlossen, nicht bestätigt. Eine solche Inter-Methode konnte bei erfolgreich unterrichtenden Lehrkräften nicht nachgewiesen werden. Statt solcher makrostruktureller Faktoren wie Lehr- und Lerntraditionen ergab sich hingegen, daß mikrokulturelle Aspekte wie die institutionelle Einbettung des Unterrichts und seine technischen Durchführungsbedingungen – Stichworte sind hier Lernerzahl und Zeitbudget – sich als maßgeblich erwiesen. Das Aufwachsen in einer unterschiedlichen Lehr- und Lernkultur scheint den Lernenden den Zugang zu einem ganz anderen Kommunikations- und Lernverhalten im Deutschuntericht nicht zu verstellen. Als zentrales Ergebnis seiner Studie konnte Boeckmann feststellen, daß universelle Probleme der Gestaltung von Fremdsprachenunterricht von größerer Bedeutung zu sein scheinen als kulturelle Phänomene.



Milena Dvoráková („Interkulturelle Kommunikation – Analyse von Veränderungen in der Organisationskultur von Unternehmen in der Tschechischen Republik“) beschrieb das neu an der technischen landwirtschaftlichen Universität Prag eingerichtete Fach „Interkulturelle Kommunikation“ und referierte über eine dort entstehende Analyse der Organisationskulrtur in tschechischen Unternehmen mit besonderer Berücksichtigung von deren Veränderung vor und nach der Wende 1989. Ziel ist es, die Veränderungen in der Organisationskultur durch Transformationsprozesse und die Bewertung des Organisationskulturspektrums der ausgewählten Unternehmen festzustellen – und dies in drei verschiedenen Zeitebenen: die Bewertung des Kulturprofils vor der Wende im Jahre 1990, die Bewertung des bestehenden Organisationskulturspektrums und die Bewertung des gewünschten Organisationskulturspektrums. Als Methode verwendete sie eine einfache Tabelle mit entsprechender Punkteskala, in der elf Faktoren berücksichtigt wurden: Internationalität, Entscheidungsführung, Kommunikation und Informiertheit, überwiegender Leitungsstil, Kontrolle und Motivation der Angestellten, Innovation, Personalpolitik Arbeitbedingungen ästhetisches Niveau und Image. Die Bewertung aller dieser Faktoren ergab, daß in den untersuchten Unternehmen bisweilen große Veränderungen stattgefunden haben – zum Teil jedoch auch große Konstanz herrscht: Die Analyse von Veränderungen in der Organisationskultur tschechischer Unternehmen hat gezeigt, daß diese sich als ein recht langsam ablaufender Prozeß darstellen, in dem Veränderungen lediglich sukzessive erwartet werden können.



Lutz Küster („Emotion und Kognition im Bildungsgedanken - Erziehungswissenschaftlich-soziologische Aspekte eines interkulturellen Fremdsprachenunterrichts“) ging aus von dem Bildungsbegriff, mit dem sich im deutschen Sprachraum die Vorstellungen eines gegebenen Wissenskanons und einer gereiften Persönlichkeitsentwicklung verbinden, die ihrerseits auf Normativität und Vereinheitlichung abzielen. Im Zeichen der Postmoderne ergibt sich dagegen keine solche statische Vorstellung, sondern vielmehr die Idee eines Prozesses individueller Welt- und Selbstwahrnehmung, in dem Differenz und Heterogenität anerkannt werden und daher der Widerspruch eine zentrale Bedeutung erhält. Besonders mit Blick auf interkulturelle Einstellungen sind erziehungswissenschaftliche Perspektivierungen von Pluralität und Bildung bedeutungsvoll. Die Relativierung der Bedeutung der Ratio und die Anerkennung affektiver, sinnlicher und ästhetischer Potentiale in Neuhumanismus sind als historisches Beispiel für die Entgrenzung einstiger Kognitionsfixierung zu nennen. Hieran bieten sich interessante Anbindungsmöglichkeiten an die in der Fremdsprachendidaktik diskutierte Frage einer Anerkennung von Differenz – Differenz in Bezug auf das Andere, aber auch Differenz in Bezug auf das Eigene – an, wobei die Modellierung individueller Identität zur Disposition steht.



Werner Delanoy referierte über „Interkulturelles Fremdsprachenlernen als Prozeß“, wobei ihm als Grundlage ein prozeßorientierter, dynamischer Kulturbegriff diente, der den Umgang mit fremden Kulturen als ein Miteinander und als ein Bewältigen von Konflikten im Dialog sieht. Diesem theoretischen Kulturbegriff steht auf didaktischer Ebene eine handlungs- und erfahrungsorientierte Lerntheorie gegenüber. Interkultureller Fremdsprachenunterricht ist bestrebt, in der Unterrichtspraxis nachhaltig und dauerhaft Berücksichtigung zu finden. Dieses Ziel ist jedoch bisher nicht in befriedigender Form erreicht worden. Der Vortrag verstand sich als ein Versuch, Theorie und Praxis einander anzunähern, wobei Delanoy eine Doppelperspektive verfolgte: diejenige des Forschers und diejenige des Lehrers. Dabei ging er aus von dem Prinzip der Prozeßorientierung, das unter anderem das Problem der Organisation von Lernprozessen inkludiert. Diese Problem diskutierte er anhand konkreter Praxismodelle, die die affektive und auch die kognitive Seite betrafen. Im Hinblick auf die konkrete Lehrerperspektive stellte er eigene Unterrichtserfahrungen mit Bruce Springsteens Song Sinaloa Cowboy bzw. mit dem Thema Illegal Immigrants in the U.S. zur Diskussion. Dabei zeigte sich, daß das komplexe Wechselspiel zwischen theoretischen Konzepten und praktischem Unterricht zu einer nachhaltigen gegenseitigen Bereicherung beider führen kann.



Annette Baumgart und Heike Wapenhans sprachen über die „Vermittlung landeskundlicher Phänomene unter Berücksichtigung affektiver und kognitiver Besonderheiten in homogenen Kulturen (am Beispiel des Russischen))“ und hoben somit auf sprachliche, außersprachliche sowie pragmatische Erscheinungen ab, die für solche Kulturen wie zum Beispiel Russland / die Sowjetunion zwischen 1917 und 1985 typisch sind. In homogenen Kulturen liegt eine Vereinheitlichung von Sozialisation, Bildungspolitik, moralischen und gesellschaftlichen Werten vor, wodurch sich verhältnismäßig einheitliche „Kulturträger“ entwickeln - und somit ein einheitliches Weltbild. Auf diese Weise existiert – auch über die Kenntnis der klassischen Kultur hinaus - Kulturgut aus neuerer und neuester Zeit, das der gesamten Sprachgemeinschaft vertraut ist. Dieser kulturelle Hintergrund führt zum Ablauf typischer Sprachprozesse, wofür als Beispiel die in der russischen Linguistik bekannten „Präzedenztexte“ genannt wurden. Diese lösen als Gegenstück zu den kognitiven Metaphern beim Leser oder Hörer – bewußt oder unbewußt – affektive und kognitive Reaktionen aus. Diese Auslöser können Zitate aus Filmen, Liedern, Gedichten, Losungen und ähnlichen Texten sein; sie sind in homogenen Kulturen bei allen Sprachträgern mehr oder minder indentisch, was ihren häufigen Gebrauch in der Umgangssprache und ihre Beliebtheit im pressesprachlichen Gebrauch erklärt. Ihr Sinn kann dagegen ausschließlich durch das entsprechende Hintergrundwissen verstanden werden, und somit muß im Fremdsprachenunterricht eine dahingehende Sensibilisierung der Lernenden einerseits und eine entsprechende didaktische Aufbereitung dieser Phänomene andererseits vorgenommen werden.



Barbara Schmenk („Interkulturelles Lernen versus Autonomie? ) stellte diese beiden Begriffe als inflationär verwendete und somit zu weitverbreiteten labels degenerierte Entitäten vor, die nahezu keinerlei trennscharfes konzeptuelles Profil mehr aufweisen. So kann davon ausgegangen werden, daß sich beide Begriffe ausschließen. Während Interkulturalität als weitgehend emotionales Lernziel verstanden werden kann, wird der Begriff Autonomes Lernen mit einem Lernerbild verbunden, das solche Qualitäten wie Selbstmanagement, Selbststeuerung, Individualisierung einschließt. Autonomie und Interkulturalität als gemeinsame Ziele des Fremdsprachenunterrichts zu fördern, könnte somit eine unmögliche Aufgabe darstellen. Daß dem nicht so ist, versuchte Schmenk in ihrem Vortrag zu zeigen, indem sie das beschriebene didaktische Paradoxon von Autonomie und Interkulturalität durch eine Problematisierung des Autonomiebegriffes aufzulösen versuchte. Um dies erfolgreich zu tun, werden die existierenden technizistisch-mentalistischen Vorstellungen von Lernerautonomie aufgegeben werden müssen – zugunsten von pädagogischen Autonomiekonzeptionen, die zu einem Autonomiebegriff führen, der sich auch auf erziehungs- und bildungspolitische Bereiche erstreckt. Eine solche Entwicklung könnte dazu beitragen, interkulturelles Lernen nicht als Gegenteil, sondern als integralen Bestandteil der Förderung von Autonomie beim Fremdsprachenlernen aufzufassen. Voraussetzung dafür sei jedoch, das Fremdsprachenlernen nicht ausschließlich als kognitiven Prozeß anzusehen, sondern es im Kontext der gesamten Lernerpersönlichkeit mit ihren kognitiven, emotionalen, sozialen und kulturellen Implikationen zu begreifen.



Stefanie Lammfuss-Schenk („Mußte der König hingerichtet werden? Fallait-il exécuter le Roi? – Unterrichtsanalysen zur Frage, ob Empathie Fremdverstehen fördert oder behindert“) untersuchte diese Problematik anhand von Datenmaterial aus einer ethnografischen Longitudinalstudie im bilingualen deutsch-französischen Geschichtsunterricht. Dabei konnte sie zeigen, auf welche Weise sich starke emotionale Anteilnahme von Schülern auf ihre Entwicklung von Fremdverstehen auswirkt. Ihre Beobachtungen erwiesen sich dabei als außerordentlich vielschichtig. So konnte sie Empathie nicht nur als positives Element ermitteln, sondern sogar Fälle ausgrenzen, in denen sie die Initialzündung für weiteres Fremdverstehen behinderte oder gar ausgeschloß. Die vorgestellte Vielschichtigkeit der Ergebnisse kann zweifelsohne das Bewußtsein für die Komplexität der Verstehensprozesse der Schüler zu schärfen helfen. Ob dies jedoch eines Tages zu einer „Didaktik der Emotionen“ beitragen kann, bleibt bislang dahingestellt.
Sharon Zaharka referierte über „“Simulationen als Brücke zwischen Emotion und Kognition“ und stellte ihr Unterrichtskonzept für den Bereich Interkulturelle Kommunikation in ihren Veranstaltungen zum Wirtschaftsenglischen an der FH Konstanz vor. Zentraler Punkt ihres Vortrags war der Einsatz von Simulationen. Dabei konnte sie zeigen, wie im Verlauf der anschließenden Diskussion die Studierenden ihre in der entsprechenden Simulation durchlebten Emotionen verbalisieren konnten und auf welche Weise diese Verbalisierung ihnen half, eigene Erkenntnisse zur interkulturellen Kommunikation zu gewinnen.



Mehmet Metin untersuchte „Das System von Höflichkeitskonventionen als Ursache interkultureller Mißverständnisse“. Die Verletzung der jeweils stark kulturell gebundenen Höflichkeitssysteme kann Kommunikation erheblich beeinträchtigen und zu Mißverständnissen, zur Erschwerung oder Verunmöglichung von Kooperation oder gar zu Agression führen. Dabei ist Höflichkeit kein eindeutiges, für alle Mitglieder einer Gesellschaft klar festgelegtes bzw. festlegbares Phänomen: Gruppenspezifische Erwartungen und normative Einstellungen treten hinzu. Menschliche Kommunikation besteht nahezu niemals allein aus eigentlichem Informationsaustausch oder der reinen Mitteilung von Sachverhalten. Hinzu tritt für die Kommunikationspartner immer das Bestreben, die eigene Identität auszubilden oder zu stärken, also das Gesicht zu wahren. Unter dem Begriff ´Gesicht´ sind all diejenigen Merkmale und Eigenschaften zu verstehen, die ein Sprecher für sich in Anspruch zu nehmen bestrebt ist. Unterschieden werden kann dabei zwischen positivem Gesicht (dem Wunsch des Individuums, anerkannt, unterstützt, geschätzt zu werden) und dem negativen Gesicht (dem Bedürfnis, das eigene Territorium so wenig wie möglich einschränken zu lassen). An den Handlungsbereichen Auffordern und Ablehnen/Widersprechen exemplifizierte Metin das Konzept der Höflichkeit schließlich.



Ingrid Mummert, die über „Interkulturelles Lernen beim Interpretieren von literarischen Texten“ referierte, bezog sich auf ihren Literaturunterricht mit Studierenden am Studienkolleg Hamburg und zeigte anhand von Interpretationsbeispielen drei von ihr verwendete, ineinandergreifende Phasen dieses Lernprozesses auf: Die Studierenden erhalten im Unterrichtsgespräch auf der Grundlage eines rezeptionsästhetischen literaturdidaktischen Modells einen meist für sie neuen kognitiv-emotionalen Zugang zu literarischen Texten, der es ihnen ermöglicht, ihre eigene interkulturelle Welt zu der fiktiven Welt des jeweiligen literarischen Werkes in Beziehung zu setzen und beide Welten als gleichermaßen wichtig zu erfahren. Für die darauffolgende schriftliche Interpretation bietet sich durch dieses Modell die Chance, sowohl zu einer subjektiven Rezeption zu gelangen als auch zu einer angemessenen Textbearbeitung. Für die Erzielung dieses Ergebnisses ist darüber hinaus eine „kooperative Aufsatzlehre“ notwendig, bei der die Studierenden lernen, ihre Einschätzung für gelungene und für noch zu verbessernde Interpretationsbestandteile zu entwickeln, um dadurch ihre eigenen Klausuren selbstkritischer und selbstbewußter zu überarbeiten.
In ihren „Vorüberlegungen zu einer Didaktik der Fremdheitskompetenz“ betrachtete Anniki Koskensalo diese als eine der Voraussetzungen für die Erlangung einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz. Fremdheitskompetenz sei nur unter der Bedingung von Nutzen, daß kulturelles Wissen mit einer Offenheit für Abweichungen und komplexe Zugehörigkeiten verbunden sei. Fremdheitskompetenz, die sich im Laufe des Fremdsprachenlernens immer weiter verbessere, spiele beim vierstufigen Aufbau interkultureller Kompetenz eine zentrale Rolle: Erstens ermöglicht sie ein elementares Zurechtfinden in der sprachlich und kulturell vertrauten Umwelt; zweitens ein erstes Verständnis der Mentalität der anderen Kultur; drittens eine nach und nach verbesserte Koordination kulturdifferenter Handlungsschemata für gemeinsames Handeln und viertens ein generalisiertes Kulturlernen zur Orientierung und Anpassung in schnell wechselnden Feldern des kritischen Lernfeldes Ausland. Die damit verbundene Infragestellung des Selbstverständlichen ist eine Chance zur Aneignung einer komplexen Identität, in deren Rahmen aus fremdem Kommunikationsverhalten positive Möglichkeiten für das eigene kommunikative Handelns abgeleitet werden können. Das Eigene und das Fremde stellen somit die beiden Pole dar, die in kontrastiver Dimension den sprachlichen Bewegungsraum des Fremdsprachenlehrers und –lerners bestimmen. Im Rahmen dieses kontrastiven Ansatzes, in dem speziell die Differenz den Unterschied ausmacht, ist es notwendig, in der interkulturellen Kommunikation den Versuch zu unternehmen, diese Kulturunterschiede empirisch zu operationalisieren.



Winfried Lange („Kommuniaktive und interkulturelle Kompetenzen und Verhaltensweisen in ESP- und Übersetzungskursen – Handlungskonzepte zur Kommunikationsoptimierung“) betonte in seinem Vortrag zunächst die Bedeutung von Fragen der Kultur und Interkultur auch in der fachsprachlichen Fremdsprachenausbildung. Nach der Vorstellung dieser Ausbildung und derjenigen von Fachübersetzern an der Hochschule Anhalt zeigte er anhand des Schichtenmodells Trompenaars auf, in welcher Weise Aspekte kultureller Differenzierungen und interkultureller Implikationen die jeweiligen Studiengänge durchdringen. Einen wichtigen Ansatzpunkt stellte für ihn dabei die Ausweitung der Landeskunde zu den entsprechenden sprach- und kulturspezifischen Veranstaltungen hin dar. (vgl. Begriffe wie British Cultural Studies oder American Cultural Studies). Diese Ausweitung ermöglicht einen Einstieg zum Veständnis, zur Analyse und Interpretation einer fremden Kultur, da in ihrem Rahmen Rekonstruktions- und Transferprozesse vorgenommen, Selektions- und Translationsprozesse durchgeführt und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit ausgeprägt werden können. Begriffe wie Äquivalenz, Kulturspezifik, Texttypen, Textsorten stehen zu diesen Prozessen in ebenso enger Verbindung wie die Umsetzung übersetzungswissenschaftlicher Kategorien in der Praxis, in welcher Kulturspezifika, insbesondere auch bei der Übersetzung hochspezialisierter technischer Sachverhalte eine wichtige Rolle spielen. Diese Zusammenhänge zeigte er anhand von Beispielen auf.



Die Arbeitsgruppe 5 befaßte sich mit dem Themenkomplex „Emotion und Kognition in der Fremdsprachenforschung“ und wurde geleitet von Rüdiger Grotjahn und Claudia Riemer.



Den ersten Vortrag in dieser Arbeitsgruppe hielt Dagmar Abendroth-Timmer über „Grundprinzipien der Aktionsforschung und ihre Bedeutung für die Fremdsprachendidaktik“. In diesem Zusammenhang zeigte sie das Entstehen der Aktionsforschung auf - in dem Bemühen der Überwindung der Dichotomie zwischen Theorie und Praxis, das sich darin manifestiere, daß die im sozialen Feld agierenden Personen zur Bewußtwerdung und zur theoriegeleiteten Veränderung ihres Handelns gelangen. Aktionsforschung im schulischen Bereich wird Schulbegleitforschung genannt. Dabei werden Lehrer und Lehrerinnen hinzugezogen, und es wird von ihrem praktischen Handeln und von ihren Fragen bzw. Forschungsfragen ausgegangen. Im Rahmen der Arbeit werden sie an Froschungsinstrumenten und deren Entwicklung beteiligt, die sie ihrerseits in schulische Innovation umsetzen. Von Bedeutung ist dabei, daß man erkannt hat, daß schulische Innovationsprozesse Lehrern nicht aufgezwungen werden können. Sie sind nur dann umsetzbar, wenn sie für die Lehrer und Lehrerinnen selbst von Bedeutung und von Interesse sind. Die Gruppe der Lehrer und Lehrerinnen wertet im Rahmen der Arbeit ihren Unterricht aus und entwickelt ihn weiter; auf der anderen Seite erhalten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einen genauen Einblick in das erforschte Feld und können ihre theoretischen Konzepte mit der schulischen Praxis korrelieren. Ziel des Vortrags war es, anhand des Schulbegleitforschungsprojekts “Internationalisierung des Sachfachunterrichts durch bilinguale Module: Modelle – Methodik – Motivation“ Modifikationsmöglichkeiten des Forschungsparadigmas der Aktionsforschung hinsichtlich der Dichotomie ‚Theorie – Praxis‘ und ihre Leistungen innerhalb der fremdsprachendidaktischen Forschungen aufzuzeigen. Die Referentin machte deutlich, daß durch das Paradigma der Aktionsforschung durchaus andere, neue Forschungsabläufe entstehen können.



Jürgen Kurtz („‘TEFLSPEAK-G‘ im universitären Tagespraktikum: Einige diskursanalytische und hochschuldidaktische Überlegungen“) untersuchte mit TEFLSPEAK-G eine im universitären Tagespraktikum häufig beobachtete Subvariante von Unterichtssprache auf ihre zentralen Merkmale hin. Er verwies auf die Probleme, die sich zum Beispiel in bezug auf die Versprachlichumng von Emotionen im Fremdsprachenunterricht ergeben können wie auch auf mögliche Konsequenzen für die Fremdsprachenlehrerausbildung. Auch hinsichtlich dieses Vortrags, bei dem nicht alle Implikationen im gegebenen Rahmen dargestellt werden können, sei auf die noch zu erwartenden Publikationen zur Zehnten Göttinger Fachtagung (vgl. auch Tinnefeld in FuH 68/2003, 61-78) verwiesen.



Rüdiger Grotjahn berichtete in seinem Vortrag über „Das Projekt ‚Tests and Attitude Scales for the Year Abroad‘ (TESTATT): Theoretische Basis und empirische Resultate“. Dies ist ein gemeinsames Projekt der Universitäten Portsmouth (England), Duisburg und Bochum, das die Entwicklung von ökonomischen, reliablen und validen Instrumenten zur Messung der Variablen „Einstellung zur eigenen und fremden Kultur“, „Sprachlernmotivation“, „Introversion/Extraversion“ und „Angst beim Gebrauch der Fremdsprache“ zum Ziel hat. Den anderen Schwerpunkt des Programms stellt die Entwicklung einer Batterie von C-Tests zur ökonomischen und reliablen Messung der globalen Fähigkeit in der Fremdsprache dar. Dabei wurden die entsprechenden Skalen und Tests für die Sprachen Deutsch und Englisch entwickelt und sollen im Hinblick auf Auslandsaufenthalte sowohl in Forschungskontexten einsetzbar sein als auch für die Selbstevaluation der Studierenden. Die Überprüfung der Eindimensionalität der entwickelten Instrumente wurde durch maximun likelihood-Faktorenanalysen gewährleistet; zur Abschätzung der Reliabilität wird Cronbachs Alpha ermittelt, wobei die Stichprobe N = 417 Studierende betrug. Analysiert wurden ebenfalls die bestehenden Interkorrelationen der Skalen und Tests. Als Ergebnis konnte ermittelt werden, daß das Ziel von TESTATT, das in der Entwicklung von ökonomischen Assessment-Instrumenten bestand, weitgehend erreicht worden ist.



Claudia Riemer („Zur Relevanz qualitativer Daten in der neueren Motivationsforschung“) erläuterte zunächst die Orientierung der Motivationsforschung der 1990er Jahre im quantitativem Forschungsparadigma. Dabei wurden Fragen danach gestellt, welche Motivationsarten beispielsweise gute Prädiktoren seien und welche Bezugsdisziplinen relevante Theorien liefern könnten; es wurden Konstrukte wie self-determination, locus of control, self-efficiency und need for achievement operationalisiert. Hinzu trat die Berücksichtigung von Unterichtsvariablen. Die Referentin stellte dar, daß Motivation als dynamischer Faktor diskutiert werden sollte, der immer auf eine individuelle Persönlichkeit (Einzelgänger-Hypothese) bezogen ist. Sie stellte qualitative Pilotstudien vor, in denen auf der Basis von maximal offenen und semi-offenen Datenerhebungsverfahren (schriftliche Sprachlernmotivationsbiographien und leitfadengestützte Interviews) die Nachweisbarkeit der genannten Komponenten untersucht wird - wie auch ihre Relevanz für die Ausbildung von Sprachlernmotivation aus der Perspektive der Lernenden. Studien dieser Art basieren auf der Annahme, daß solche qualitativen Daten unverzichtbar sind für die Entwicklung valider standardisierter Instrumentarien – eine Aussage, die mehr als nur Plausibilitätscharakter hat.



Christiane Fäcke („Verstehensstrukturen zwischen Affektion und Kognition. Ergebnisse einer Fallanalyse aus einem qualitativ-empirsichen Forschungsprojekt“) stellte Verstehensprozesse einer Schülerin vor, die an dem empirischen Forschungsprojekt zu „Transkulturellem Verstehen durch fremdsprachige Literatur bei mono- und bikulturell sozialisierten Jugendlichen“ teilgenommen hat. Sie ging zunächst auf theoretische und methodologische Überlegungen zu diesem Forschungsprojekt ein und erläuterte dann die triangulierende Erhebung von Verstehensprozessen Jugendlicher mit Hilfe introspektiver Verfahren (lautes Denken, Leseprotokoll, Leitfaden-Interview) im Zusammenhang mit unterschiedlichen geographischen Kontexten. Bei einem solchen Verfahren werden zunächst Einzelfallanalysen erstellt, die zu strukturellen Vergleichen führen sollten. Die Referentin erläuterte die Verstehensprozesse der Probandin Anna, ihre Äußerungen im Spannungsfeld von Affketion und Kognition, die ihre Einstellungen zu den Inhalten des zugrundeliegenden literarischen Textes verdeutlichten, wie auch ihre Reflexion darüber sowie ihre Strategien hinsichtlich des Verständnisses dieser Inhalte.



Veronica Smith, Hermann Cesnik und Wolfgang Gasser („Metaphererkennung als Organisationsprinzip: eine quantitative und qualitative Untersuchung zum Lesen in der Fremdsprache“) untersuchten Verständnisprobleme von L2-Lernern in Bezug auf die Metaphorik des Wirtschaftsenglischen in quantitativer und qualitativer Hinsicht, da Metaphern sogar eine solch kurzlebige Textsorte wie Zeitungstexte, und hier besonders Finanzberichte, bisweilen strangartig durchziehen, was Muttersprachlern in der Regel keine Verständnisschwierigkeiten bereitet, gingen die Referenten davon aus, daß L2-Lerner nicht unbedingt in der Lage sein werden, einem solchen Text die relevanten Bedeutungen zu entnehmen. Ziel ihrer Untersuchung ist es, daß Problem des Textverständnisses näher zu bestimmen. Die Lernenden in der Studie sind fortgeschrittene Studentinnen und Studenten der Anglistik sowie der Betriebswirtschaftslehre mit unterschiedlicher Sprachbeherrschung des Englischen als Fremdsprache. Konkret untersucht wurden die Erkennungsmuster der begrifflichen Metaphern love und war, die in dem Vortrag auch exemplifiziert wurden. Insgesamt soll die Studie die Frage danach beantworten, welche Lesestrategien Studierende einsetzen und in welcher Weise sich die Sprachbeherrschung auf das Lesen in der Zweitsprache auswirkt – Ergebnisse, die mit einiger Spannung erwartet werden dürfen.
Petra Bolenius („Zur Bedeutung von Emotionen in der Lehrplanrezeption – das Beispiel Englisch“) verwies zunächst auf die unterschiedliche Rolle von Curricula oder Lehrplänen, die sie in den 1960er und 1970er Jahren hatten und heute haben. Stellten sie früher staatliche Steuerungs- oder gar Kontrollinstrumente dar und war ihr Ziel letztendlich eine grundlegende Reform des Bildungswesens, so sind Lehrpläne bzw. Curricula heute Orientierungsgrößen für die von den Lernern selbst zu gestaltenden Lernprozesse. Sie sind jedoch weiterhin der Rahmen für Innovation und Entwicklung von Schulunterricht, wobei der Gestaltungsspielraum der Lehrerinnen und Lehrer deutlich erweitert worden ist. So fand sie es nur konsequent, daß man heute eher von negotiated curriculum oder process syllabus spricht. Die Referentin ging weiterhin der Frage nach, welche emotionalen Faktoren die Auseinandersetzung mit dem neuen Lehrplan sowie dessen Umsetzung im Unterricht beeinflussen, und stellte dabei ein mögliches qualitatives Forschungsdesign vor – ein Design, das durchaus dazu angetan sein könnte, Lehrplänen und Curricula eine neue emotional positiv besetzte Rolle im schulischen Lernkontext zuzuweisen.



Marie-Reine Blommaert („Selbstevaluation zwischen Selbstentfremdung und Selbstakzeptanz“) ging in ihrem Vortrag von dem interessanten Phänomen aus, daß solche Studierende, die über ein hohes Spechfertigkeitsniveau verfügen, oder auch Muttersprachler die Tendenz zeigen, sich an ihre mündlich gemachten Fehler zu gewöhnen, sie nicht mehr zu hören, sie nicht mehr zu identifizieren – sie schließlich einfach zu ignorieren. Sie zeigte Möglichkeiten auf, in einer solchen Situation die Bewußtheit und die Motivierung der Studierenden zu aktivieren. Solche Möglichkeiten bestehen beispielsweise in der Arbeit mit Audio- und Video-Aufnahmen sowie Klassengesprächen oder Übungen, die von den Studierenden selbst bewertert werden. Weiterhin erlauben die neuen Technologien nicht nur eine individuelle Bewertung durch Studierende, sondern auch diejenige der eigenen Produktion in der Klasse, die Evaluation eines Studierenden durch die ganze Gruppe, ja gar Peer-Evaluationen in Kleingruppen, um nur einiger dieser Möglichkeiten zu benennen. Die Referentin zeigte die Chancen und Grenzen solcher Selbstevaluation auf, verwies auf die zum Teil nicht unbeträchtlichen Hindernisse, die bei ihrer Anwendung überwunden werden müssen, und stellte ihr Hilfspotential für Studierende und Lehrkräfte heraus. Dabei ist es nötig, mit sehr großer Sensibilität zu Werke zu gehen.



Karin Aguado („Introspektion als Zugangsmöglichkeit zu Emotion und Kognition“) verfolgte in ihrem Vortrag das Ziel, im Rahmen einer Longitudinalstudie aufzuzeigen, welche Aufschlüsse unterschiedliche introspektive Verfahren - wie zum Beispiel Fragebogen, Interview, Retrospektion oder lautes Denken - über fremdsprachenerwerbsspezifische emotionale und kognitive Prozesse ermöglichen. Dabei zielte sie auch auf eine Verbesserung der Methode im Sinne einer stärkeren Systematisierung und einer sorgfältigen Anwendung ab – dies besonders wegen der starken Vorbehalte, die gegen den Einsatz introspektiver Verfahren immer wieder hervorgebracht werden. Dabei betont sie, daß es durchaus lohnend sei, introspektive Daten zu erheben.



Nicola Mayer („Das Interview als ganzheitliche Methode“) verwies zunächst auf die dem Begriff Ganzheitlichkeit zugrundeliegende Problematik: Der Begriff ist einfach, weil er eine Vertrautheit weckt, die oft nicht hinterfragt wird; er ist komplex, weil man dann, wenn man den Begriff näher zu ergründen versucht, an die Grenzen des Denk- bzw. Ausdrückbaren stößt. Dabei wird der Anspruch auf Ganzheitlichkeit vor allem für die empirische Praxis gefordert. Im Rahmen ihrer Dissertation fand die Referentin heraus, daß es notwendig sei, Ganzheitlichkeit zum einen innerhalb der von ihr durchgeführten Interviews zu thematisieren, aber auch im Hinblick auf ihren eigenen „Forschungsstil“, und ihn darin zu integrieren. Diese Aspekt beträfen sowohl die praktische Umsetzung der Untersuchung als auch ihre schriftliche Dokumentation. Dabei versuchte sie, den Anspruch auf Ganzheitlichkeit auf folgenden Ebenen umzusetzen: auf der formalen Ebene hinsichtlich einer umfassenden Sicht aller am Interviewprozess beteiligten Faktoren, insbesondere der Subjektivität der Forscherin; auf der inhaltlichen Ebene hinsichtlich eines ganzheitlich-ehtischen Verständnisses der Interviewsituation und der Beziehung zwischen den Interviewpartnern; auf der medialen Ebene im Hinblick auf Sprache und Ganzheitlichkeit als Medium und Gegenstand des Gesprächs. Diese Vorgehensweise konkretisierte sie anhand eines Auswertungsbeispiels aus ihrer Studie.



Anna Herwig sprach über „Gedankenprotokolle als Hilfsmittel zur Rekonstruktion semantischer Netzwerke und des Versprachlichungsprozesses“ und ging von der Prämisse aus, daß Protokolle lauten Denkens bei Sprachproduktionsaufgaben Einblicke in kognitive Prozesse ermöglichen, die sich durch eine ausschließliche Analyse des entstandenen Endproduktes – also des Textes – nur unbefriedigend erschließen lassen. Im Rahmen dieses Ansatzes wird davon ausgegangen, daß diese Methode den Gedankenprozess weitgehend unverfälscht dokumentiert. In ihrem Vortrag beschäftigte sich die Referentin - anhand der Versprachlichung negativer Emotionen im Rahmen einer Erzählung - mit Wortfindungs- und formulierungsprozessen und zeigte auf, daß diese durchaus Rückschlüsse auf kognitive Organisationsprinzipien zulassen können. Die Untersuchung basierte auf einer Studie, in der englische Muttersprachler einen Text verfassen und diesen anschließend ins Deutsche übersetzen sollten, wobei der Übersetzungsprozess mittels der Methode lauten Denkens dokumentiert wurde., dem eine Schlüsselrolle in der Rekonstruktion der kognitiven Strukturen zukam.



Sabine Beyer („Aufmerksamkeit als Strategie des Fremdsprachenerwerbs?“) untersuchte in ihrem Vortrag, bei dem Sie aus ihrem Dissertationsprojekt referierte, ansatzweise die Frage, ob und, wenn ja, wie Fremdsprachlerner ihre Aufmerksamkeit beim Sprechen bewußt auf die Flüssigkeit oder die Korrektheit ihrer Sprachäußerungen lenken und ob bzw. wie sich dies im Laufe des Spracherwerbs verändert. Grundlage dieser Fragestellung sind folgende Zusammenhänge: Das Sprechen in einer Fremd- oder Zweitsprache ist ungleich aufmerksamkeitsintensiver, als dies für die Muttersprache behauptet werden kann. Durch das in der Fremdsprache vorhandene lediglich bruchstückhafte Wissen hinsichtich der dort üblichen Lexik und Grammatik wird beim Sprecher eine erheblich größere Planungszeit notwendig und es werden mehr Fehler gemacht. Diese Konstellationen stellen hohe Anforderungen an den Monitor – der Output ist weniger flüssig als bei Muttersprachlern. Aus der Fremdsprachenlehrpraxis ist evident, daß unterschiedliche Typen von Fremdsprachensprechern existieren. So kann ein Kontinuum angenommen werden – von denjenigen Sprechern, die einen sehr flüssigen Eindruck machen, aber dabei sehr fehlerbehaftet sprechen, bis hin zu denjenigen L2-Sprechern, die aus Angst vor Fehlern kaum wagen, irgendetwas zu sagen. Zusätzlich zu diesen individuellen Parametern kann das Sprechverhalten auch in Abhängigkeit zum Gesprächspartner und der Situation variieren. Es bleibt abzuwarten, welche Antwort die Referentin in ihrer Dissertation finden wird – interessant ist diese Fragestellung jedoch allemal.



Patrick Rebuschat referierte über das Thema „Sprachaufmerksamkeit im Erwerb fremdsprachlicher Lautsysteme“. Er ging von der Annahme aus, daß der postpubertäre Spracherwerb unter gelenkten Bedingungen nicht nur die Bereitstellung von möglichst intensivem, adäquatem sprachlichem Input erfordert, sondern daß ein wie auch immer geartetes Mehr hinzukommen muß. Er schloß sich der allgemeinen Ausgangsbasis an, nach der eine bewußte Wahrnehmung zielsprachlicher Strukturen durch den Lerner notwendig sei, damit deren Erwerb initiiert werden kann; dabei sei inzidentelles, unbewußtes Lernen nicht in allen Fällen möglich; die Aufmerksamkeit des Lerners könne sowohl durch dessen eigene Entscheidung auf eine bestimmte Struktur der Zielsprache gerichtet werden als auch durch externe Einflußfaktoren, beispielsweise durch die Manipulierung des im Unterricht zur Verfügung stehenden Inputs. Als Manko erwies sich nach Rebuschat dabei, daß die meisten empirischen Untersuchungen auf die Morphosyntax abheben, den Bereich der zielsprachlichen Phonologie dagegen weitgehend außen vor lassen. Diese Lücke möchte er selbst empirisch schließen, und er versuchte daher in seinem Vortrag, die Rolle der Sprachaufmerksamkeit beim fremdsprachlichen Lernprozeß allgemein zu definieren, wobei das Ziel darin bestand, festzustellen, welche Rolle sie beim Erwerb der Phonologie im unterrichtlichen Kontext spielen kann - und hinsichtlich dieser Frage konnte sich nur ergeben, daß diese Rolle eine nicht zu unterschätzende ist.



Die Arbeitsgruppe 6 wurde geleitet von Heiner Pürschel und Armin Volkmar Wernsing und unterstand dem Titel „Emotion und Kognition in und mit Medien“.



Die Arbeitsgruppe eröffnete Manfred Overmann mit seinem Vortrag zum Thema „Emotionales Lernen: Sentio, ergo cognosco“. Er gab sich mit diesem Titel ebenso intertextuell, wie sein Vortrag interkognitiv bzw. interemotional war, da er den kartesischen Dualismus von Geist und Körper im Kontext des main stream der aktuellen Forschungslage als Irrtum kennzeichnete und sich den Forschungen der Kognitionswissenschaften anschloß, nach denen keine kognitiven Zustände existieren, in die nicht auch affektive Faktoren einbezogen seien: Das interhemisphärische Gehirn färbt jegliche kognitiv-sensorische Information affektiv. Er forderte - im Anschluß an die humanistische Bildungspädagogik und auf der Grundlage eines neurobiologischen Monismus - eine multimodale Didaktik der Komplexität, die es erlaube, dem Lerner in der dialektischen Einheit von Kognition und Emotion mehrdimensionale Lernsituationen, die mit allen Sinnen erlebbar sind, anzubieten und ihn somit in seiner Persönlichkeit als autonomes Individuum zu rehabilitieren.



Karlheinz Hellwig referierte über „Affektivität in Lernertexten beim medialen Umgestalten“ und legte mit seinem Vortrag eine fremdsprachendidaktische und unterrichtspraktische Auswertung von vier seiner Forschungsarbeiten vor. Diese bezogen sich auf das frei gestaltete Schreiben zur Bildkunst, das freie Übersetzen fremdsprachiger Gedichte ins Deutsche und den Lesereport zu englischsprachigen Gedichten. Dabei zeigte sich, daß sich dann, wenn ein grundlegend kognitiver Ansatz als Forschungsbasis verwendet wurde, in der Reflexion die Emotionalität der Adressaten durchsetzte und aus diesem Grunde die jeweiligen Untersuchungshypothesen komplementär durch emotionale Anteile erweitert werden mußten. Dabei konnte er die im Grunde geläufige Erfahrung bestätigen, nach der Kunsttexte das Denk-Empfinden ihrer Rezipienten ansprechen, also kognitive und emotionale Anteile umfassen, und daß das Denk-Empfinden ebenfalls beim Nach- und Umgestalten dieser Kunsttexte aktiviert wird.



Guido Rings referierte zum Thema „Hybride Außenseiter als Protagonisten zeitgenössischer Filme. Zu emotionalen und kognitiven Leitmotiven in Tykwers ‚Lola rennt‘ und Jeunets ‚Amélie‘“ und berücksichtigte dabei zwei Filme, die nicht selten im Unterricht der Fächer Deutsch bzw. Französisch als Fremdsprache eingesetzt werden. Dabei arbeitete er heraus, daß in diesen modernen Märchen die zeitgenössischen „Heldinnen“ sich von einer pseudo-rational geprägten Gesellschaft emanzipieren und dies besonders auf der Grundlage emotionaler Leitmotive wie Hoffnung und Furcht, aber auch durch angemessenes kognitives Verhalten bewerkstelligen. Die selbstbewußte Lola wie auch die unsichere Amélie rekonstruieren tradierte stereotype Rollenmuster mit dem Ziel ihrer Dekonstruktion in parodisierender Form. Somit erscheinen die kognitiven Leitmotive der in beiden Fällen aktualisierten Männerwelt als artifiziell und inhuman. Durch die Konzeption ihrer mit starken weiblichen Anteilen versehenen mänlichen Partner entgehen die hybriden Protagonistinnen jeglichem Kategorisierungsversuch, der Emotion mit Weiblichkeit und Kognition mit Männlichkeit gleichsetzen könnte. Rings befand, daß diese Darstellungsmuster mit Blick auf den zeitgenössischen europäischen Film durchaus exemplarisch sind und somit auch bei der didaktischen Aufarbeitung beider Filme zentral mitberücksichtigt werden müssen.



Sonja Kleinke („Emotionen im öffentlichen Diskurs der Internetkommunikation“) behandelte zunächst diejenigen Forschungsgesichtspunkte, die im Zusammenhang mit ihrer Thematik hinsichtlich der Internet-Kommunikation und ihrer spezifischen Eigenschaften bereits erforscht worden sind. Dabei zeigten sich Grenzüberschreitungen zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation, zwischen persönlicher und öffentlicher; es zeigte sich das Ineinanderfließen von formellen und informellen Kommunikationsstilen sowie Formen sprachlicher Unhöflichkeit und Gewalt. Bei diesem letzten Punkt – der Untersuchung sprachlicher Unhöflichkeit und Gewalt im Internet – knüpfte ihr Vortrag an, indem sie der Frage nachging, in wie weit Emotionen als innere private Gefühlszustände bzw. Sprecherhaltungen über das Internet zunehmend Bestandteil des öffentlichen Diskurses werden. Die Grundlage ihrer Untersuchung stellten öffentliche Diskussionsforen dar, wobei sie den Zuriff auf unterschiedliche sprachliche Ausdruckstechniken von Emotionen und Emotionalität durch die jeweiligen Diskussionsteilnehmer beleuchtete. Dabei arbeitete sie emotionale Haltungen der einzelnen Teilnehmer gegenüber dem Diskussionsgegenstand einerseits und gegenüber den anderen Diskussionsteilnehmern andererseits heraus. was sich als durchaus aufschlußreich erwies in einem Kommunikationsmedium, das in einem ersten, vorwissenschaftlichen Ansatz vermeintlich für emotionsfeindlich gehalten werden könnte.



Nicola Würffel („Und wenn die Wellenlänge nicht stimmt? Zum Einfluß affektiver Faktoren auf Verstehensprozesse in elektronischen Lehr-Lernsituationen (E-Mail-Praktikum)“) verwies zunächst auf die Notwendigkeit menschlicher Tutorierung im Zusammenhang mit dem computergestützten Selbstlernen – zum einen wegen der beschränkten Feedback-Funktion, zum anderen wegen der Gefahr der emotionalen Isolierung der Lernenden. Sie betonte, daß auch im Zusammenhang mit jeglicher Art und Ausrichtung von E-Mail-Projekten zwischen den beteiligten Partnern nicht selten Mißverständnisse auftreten und dadurch die affektive Ebene verstärkt Bedeutung erlangt. In ihrem Vortrag behandelte sie zentral die elektronisch vermittelte Lehr-Lernsituation eines E-Mail-Praktikums und die Bedeutung der affektiven Faktoren im Lehr-Lernprozeß. Dabei arbeitete sie die Situation eines angehenden Deutschlehrers heraus, der über einen längeren Zeitraum einen Deutschlerner betreute, wobei sie aufzeigte, daß die Lehrperson in der Kommunikationsform des elektronischen Austausches mitsamt ihren emotionalen Implikationen durchaus mit der Gefahr von persönlichen Animositäten oder Mißverständnissen konfrontiert wurde und emotionale Höhepunkte wie auch Frustration erfuhr. Lehrende müssen sich jedoch auch in einer solchen Situation in die von ihnen betreuten Lernenden einfühlen und auf digitaler Ebene auf deren emotionale Situation reagieren können. Die Referentin arbeitete die spezifische Lehr-Lernsituation des elektronischen Praktikums anschaulich heraus und zeigte, wie es genutzt werden kann, um die Studierenden für den Umgang mit den eigenen Emotionen und für ihre emotionale Handlungskompetenz in bezug auf die von ihnen später betreuten Lernenden zu sensibilisieren. Sie unternahm somit den Versuch, eine in der Lehrerausbildung bisweilen noch bestehende Lücke ansatzweise zu füllen.



Bernd Rüschoff („Task-based learning: Internetprojekte und Sprachenlernen im Kontext schulpraktischer Studien“) zeigte anhand konkreter Beispiele, wie die Essener Anglistik mit der Lernkonzeption des task-based learning umgeht, das im Rahmen fremdsprachlicher Lernprozesse immer mehr an Bedeutung gewinnt, und wie sie diese umsetzt. Dieser didaktische Ansatz ermöglicht es nach gegenwärtiger Forschungslage, den Lernenden neben der Vermittlung sprachlicher Fertigkeiten wichtige Grundlagen für eine lebenslang wirkende, nachhaltige Sprachlernkompetenz zu eröffnen. Der Referent wies darauf hin, daß eine Berücksichtigung dieses Ansatzes bereits in der ersten Phase der Lehrerausbildung notwendig ist, wo die Studierenden mit dem Potential dieser Lernarragements – auch in Verbindung mit den neuen Medien – vertraut gemacht werden sollten.



Olaf Meurer („Schüler entwickeln selbständig eine funktionale Wiederholungsgrammatik“) berichtete in seinem Vortrag über ein eigenes Projekt, in dem das Medium power point im Sinne der Sicherung und Übertragbarkeit der in einer gegebenen Klasse erarbeiteten Produktionen auf andere Schulklassen verwendet wird. Dabei wird durch die produktorientierte Arbeit mit dem Computer Motivationsförderung erzielt. Im dem besprochenen Projekt erarbeiteten Schüler selbständig verschiedene, inhaltlich zusammenhängende Grammatikerscheinungen. Dadurch gelang es, sie für die Funktion von Grammatik zu sensibilisieren und ihnen den Nutzen von Grammatik ersichtlich werden zu lassen. Auf emotionaler Seite wurde den Schülern verdeutlicht, daß sie es mit einer Herausforderung zu tun haben, die mit Stolz und Freude über eine gelungene Bearbeitung eines gegebenen Grammatikphänomens, mit besserer Anwendbarkeit und mit ständiger Wiederverwendbarkeit belohnt wurde.



Steffen Skowronek („Emotionen als Auslöser und Katalysator von interkulturellen Lernprozessen im Rahmen eines transatlantischen Sprachkursprojekts“) referierte über das im Sommersemester 2002 vom German Department der University of Berkeley und dem Potsdamer Sprachenzentrum gemeinsam durchgeführte Pilotphase eines interkulturellen Kursprojekts, in dem Deutschlernende aus Kalifornien mit Potsdamer Englischlernenden intensiv zusammenarbeiteten. Parallel zur Vermittlung von Sprachkenntnissen und –fertigkeiten sollte in dem Projekt interkulturelles Lernen stattfinden. Dieses wurde in einer detaillierten Projektevaluation überprüft. Das interkulturelle Lernprojekt soll im Wintersemester 2003/2004 fortgesetzt und die dort erhaltenen Schußfolgerungen gegebenenfalls in Folgeprojekten umgesetzt werden. Bei der Projektplanung fanden besonders die unterschiedlichen institutionellen und persönlichen Voraussetzungen der Studierenden Berücksichtigung. Dabei erwies sich die Nutzung von informational communication technologies – einschließlich der Lernplattform WEB-CT - als besonders zwingend. Das Projekt untergliederte sich in drei Phasen: in der Kennenlern-Phase bereiteten sich die Studierenden im Rahmen interkultureller Aufgabenstellungen auf die Zusammenarbeit mit ihren Projektpartnern vor. Dabei traten deutliche Unterschiede hinsichtlich der Vorstellungen über Studium und Karriere zutage. In der zweiten Phase wurden mittels Fragebögen Assoziationen, Einstellungen und emotionale Reaktionen zu bestimmten Themen und Situationen erfaßt, verglichen und anschließend diskutiert. In Phase drei analysierten die Studierenden in Kleingruppen Zeitschriftenwerbungen der Zielkultur oder schreiben Essays zu interkulturellen Problemstellungen. Dabei wurde die jeweilige hypothetisierte Sicht der Fremdkultur mit der tatsächlicher Sicht verglichen, wodurch Stereotype identifiziert und Antworten darüber neu überdacht werden konnte. Bei der Erstellung der Abschlußarbeit waren die Gruppen besonders auf das Feedback ihrer L2-Partner angewiesen. Der Referent bezog sich auf drei konkrete Beispiele aus der Praxis: Studiengebühren, Betrug bei Prüfungen und unterschiedliche Auffassungen über die Wirkung von Werbeaussagen in der Zielkultur, die jeweils einer der drei Projektphasen entnommen worden sind. Die Ergebnisse des Projekts belegen das große Potential affektiver Wahrnehmungen und Reaktionen. Dabei zeigte sich, daß in solchen Lernprozessen, die durch Emotionen ausgelöst oder begleitet werden, kulturell bedingte Unterschiede und Gemeinsamkeiten stärker wahrgenommen werden, daß zunehmend selbständig hinterfragt und zielstrebiger interpretiert wird, als dies in emotionsarmen Lernprozessen der Fall ist.



Mirco Mankel („Kognitive Lernstile im Umgang mit den Neuen Medien – Zur Veränderung traditioneller Lerngewohnheiten“) referierte zunächst über die nahezu unüberschaubare Vielfalt unterschiedlicher Konzeptualisierungen des Begriffs Lernstil. Den Grund hierfür identifizierte er in den stark divergierenden Definitionen dieses Konzepts in Abgrenzung zu anderen, häufig mehr oder weniger synonym gebrauchten Begriffen wie Lernstategien, kognitiver Stil oder kognitive Fähigkeiten. Das im Rahmen des BMBF-Projektes „Linguistik virtuell“ situierte Dissertationsvorhaben versucht – auf dem Hintergrund der dargestellten Situation –, individuelle Lernstile im Wirkungsfeld neuer Medien herauszuarbeiten. Als interessant stellte der Referent die Untersuchung des Umgangs mit online-Lernmaterialien, die notwendigen Maßnahmen für die persönliche Lernorganisation und die sich daraus ergebenden didaktischen Implikationen aus dem Grunde vor, weil sich aus ihnen – zusätzlich zu lernpsychologischen Erkenntnissen hinsichtlich der Lernmotivation und der Akzeptanz virtueller Studienangebote – auch Hinweise auf kognitive Verarbeitungsstrukturen ergeben können. Als zentrale Fragestellungen, die er in seiner Arbeit zu beantworten versuchen wird, ergaben sich dabei in diesem Zusammenhang beispielsweise die folgenden: Inwieweit beeinflußt der gewohnte Umgang mit traditionellen Medien die Nutzung eines multimedialen, Internet-basierten Lernangebotes? Gibt es Hinweise auf Lernerpräferenzen, die für das online-Lernen charakteristisch sein könnten? Welchen Einfluß hat das Lernen am Computer auf bisherige Lerngewohnheiten? Über diese Fragen hinaus soll in dieser Arbeit versucht werden, Überlegungen anzustellen hinsichtlich der didaktisch sinnvollen und lernertypgerechten Einbindung der neuen Medien in die Unterrichtspraxis.
Zum Abschluß dieser Ausführungen noch ein Hinweis auf den gewählten Untertitel dieses Tagungsberichtes: „Ein Aufbruch zu neuen Ufern?“. Wie bereits deutlich geworden ist, soll die Zehnte Göttinger Fachtagung die letzte ihrer Art gewesen sein, da die beiden Organisatoren Wolfgang Börner und Klaus Vogel in Zukunft aus Pensionierungsgründen nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Die Ankündigung der Beendigung der Göttinger Fachtagungen ist in der Fachwelt bisher mit großem Bedauern aufgenommen worden. Klar ist, daß eine neue Leitung des Göttinger Sprachlehrzentrums, die stadtfremd wäre und die Göttinger Verhältnisse nicht kennen würde, die Aufgabe einer Fortsetzung dieser Tagungen unmöglich realisieren könnte. Eine neue Leitung, die jedoch über Göttingen, seine Infrastruktur und die Struktur des Sprachlehrzentrums gut Bescheid weiß, die somit auch hinsichtlich möglicher Geldgeber leichter und erfolgreicher aktiv werden kann, wird die Aufgabe, die Göttinger Fachtagungen in dieser oder ähnlicher Form fortzusetzen, unproblematisch in Angriff nehmen und erfüllen können. Gleiches gilt in Bezug auf darauf, daß die neue Leitung einer Person zugeschrieben wird, die aus dem Bereich der Fremdsprachenvermittlung kommt und sich auf diesem Feld wissenschaftlich und durch praktische Lehrerfahrung qualifiziert hat. Diese Forderung erscheint nach allen Gesetzen der Logik als eine conditio sine qua non.
Ob die Göttinger Fachtagungen in Zukunft fortgesetzt werden, hängt somit von der Entscheidung der Universität hinsichtlich der Neubesetzung von Klaus Vogels Stelle ab. Wird hier die richtige Entscheidung getroffen, kann man hinsichtlich des Weiterbestehens der Göttinger Fachtagungen optimistisch sein. Wird dagegen eine falsche Entscheidung getroffen, so war die Zehnte Göttinger Fachtagung in der Tat die letzte. Hoffen wir somit im Interesse der Fachwelt, der bestehenden Sprachenzentren und ihrer Vertreter wie auch im Sinne des AKS darauf, daß von Seiten der Universitätsleitung die einzig richtige Entscheidung getroffen wird.