Article: Mündliche Prüfungen im Hochschulstudium











Published in: Ó Dúill, M. / R. Zahn / K. D. C. Höppner (Hrsg.): Zusammenarbeiten: Eine Festschrift für Bernd Voss. Bochum: AKS 2005 (Fremdsprachen in Forschung und Lehre (FLF); 37), 421-436
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Mündliche Prüfungen im Hochschulstudium - Möglichkeiten der Optimierung

Thomas Tinnefeld (Göttingen / Duisburg-Essen)


0. Einleitung

Was für Prüfungen im Allgemein gilt, ist auch für mündliche Prüfungen[1] im akademischen Studium festzustellen: Die Prüfer und Prüferinnen haben ihre Tätigkeit nicht gelernt; sie haben alle die für ihre wissenschaftliche Karriere notwendigen Hürden überschritten und alle Hindernisse überwunden, sie beherrschen im allgemeinen ihr Fach, sie mögen herausragende Persönlicheiten sein, nur zu prüfen haben sie nie gelernt, und zwar nicht aus eigenem Verschulden, sondern weil diese Fähigkeit des Prüfens ihnen nie vermittelt wurde. Alles, was sie allenfalls getan haben können, ist, sich auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen als Prüfling und durch die Akkumulation der Erfahrungen, die sie als Prüfer gesammelt haben, Stufe um Stufe fortzubilden. Dies ist der einzige Weg, denn eine Prüfungsdidaktik gibt es bislang nicht. Sie ist erst jüngst gefordert worden (vgl. Tinnefeld 2002) und harrt seitdem ihrer dringend notwendigen Durchsetzung.

In dem vorliegenden Beitrag wollen wir uns mit einer Anwendung prüfungsdidaktischer Prinzipien auf mündliche Prüfungen beschäftigen, und zwar im Hinblick auf solche, die im Hochschulstudium stattfinden. Dabei werden wir auf verschiedene Aspekte eingehen: Zunächst auf denjenigen der Fachlichkeit (Kap. 1), dann werden wir uns näher mit den Prüfern und Prüferinnen befassen (Kap. 2) wie auch mit den Prüflingen (Kap. 3) und schließlich einige Aspekte der Benotung erarbeiten (Kap. 4).

1. Fachlichkeit

1.1 Wissenschaftliche Vorbereitung

Eine fundierte wissenschaftliche Vorbereitung einer gegebenen Prüfung liegt dann vor, wenn die Prüfer sich über den möglichen Verlauf der Prüfung a priori Gedanken gemacht haben, wenn sie versuchen, die einzelnen Prüfungsteile homogen aufeinander abzustimmen und wenn sie bestrebt sind, die einzelnen inhaltlichen Gesichtspunkte logisch aufeinander folgen zu lassen, um dem Prüfling eine mögliche inhaltliche Verwirrung, die ansonsten entstehen könnte, zu ersparen. Wissenschaftlich gut vorbereitet ist eine Prüfung zudem dann, wenn der Prüfer bemüht ist, sich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse anzueignen - nicht nur diejenigen seines Fachgebietes allgemein, sondern auch diejenigen der Prüfungsthemen - und wenn er wirklich die mit dem Prüfling im Allgemeinen abgesprochenen Themen prüft und nicht immer wieder auf sein eigenes Steckenpferd zurückkommt, so dass dann jede Prüfung bei ihm in der gleichen Weise ablaufen würde. Dies bedeutet, dass eine gute wissenschaftliche Vorbereitung auch darin besteht, jeder einzelnen mündlichen Prüfung ihren eigenen, individuellen inhaltlichen Stempel aufzudrücken und nicht nur Standardfragen zu stellen, über die sich durch Mundpropaganda vielleicht alle Studierenden bewußt sind, nur der – zerstreute – Prüfer nicht. Die wissenschaftliche Vorbereitung stellt die wichtigste Grundlage für eine effiziente prüfungsdidaktische Vorbereitung dar.

1.2 Prüfungsdidaktische Vorbereitung

Der folgende Zusammenhang muss Prüfern und Prüferinnen unter allen Umständen vermittelt werden: Je besser sie die eigenen, von ihnen selbst durchgeführten Prüfungen hinterfragen und analysieren, desto bessere Prüfer werden sie dauerhaft sein. Dies bedeutet, dass der erste Schritt zur Vorbereitung einer neuen Prüfung die kritische Reflexion über die vorangegangene Prüfung sein muss. Ohne eine solche kritische Analyse wird es kaum möglich sein, das eigenen Verhalten zu korrigieren und positive Aspekte in späteren Prüfungen zu verstärken sowie negative Aspekte abzuschwächen bzw. ganz zu eliminieren. Da Prüfer allein aus finanziellen Gründen – ganz abgesehen von der damit verbundenen Organisation – nicht dauerhaft supervisiert werden können, ist dieser autodidaktische Gesichtspunkt für sie von eminenter Bedeutung.

Darüber hinaus ist wichtig, dass Prüfer in der Lage sind, sich in eine gegebene Prüfungssituation im Vorhinein hineinzuversetzen, also deren wesentliche, erwartbare Abläufe und inhaltliche Bestandteile zu antizipieren. Beherrscht ein Prüfer diese Fähigkeit der Antizipation gut, so wird er langfristig ein guter Prüfer werden. Beherrscht er diese Fähigkeit nicht, werden seine Leistungen als Prüfer mittelmäßig bis schlecht bleiben.

Hineinversetzen muss der Prüfer sich auch in den Prüfling, er muss vor der Prüfung dessen Persönlichkeit für sich selbst analysiert haben und sich darüber im Klaren sein, welche Reaktionen des Prüflings bei welchem Input – also bei welcher Frage, mit der er konfrontiert wird - zu erwarten sein dürfte. Hiermit ist nicht so sehr die Erwartung einer entsprechenden fachlichen Antwort gemeint, sondern vielmehr die Erwartung dahingehend, ob der Prüfling mit der gestellten Frage gut zurechtkommen wird, ob er sich in ihr orientieren kann, ob davon auszugehen ist, dass er sie strukturiert beantwortet oder ob die Frage bei ihm eher Verwirrung auslösen bzw. ihn aus dem Konzept bringen wird (vgl. Kap. 2).

Die genannten Gesichtspunkte stellen die Grundbedingungen dar, die erfüllt sein müssen, damit ein Prüfer in prüfungsdidaktischer Hinsicht als gut vorbereitet gelten kann. Fehlt nur einer der aufgeführten Punkte, muss die prüfungsdidaktische Vorbereitung des Prüfers als nicht hinreichend fundiert bezeichnet werden.

1.3 Aspirationsniveau

Jegliche Prüfung muss gewissen sachlich-fachlichen und wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Die Forderung nach der Didaktisierung von Prüfungen darf nicht in der Weise missverstanden werden, dass die Prüfung dadurch – vom wissenschaftlichen Standpunkt her – leichter werden soll. Im Gegenteil: Je didaktischer eine Prüfung ist, desto mehr Chancen ergeben sich, diese Prüfung auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau ablaufen zu lassen. Die Forderung nach Wissenschaftlichkeit muss unbedingt eingelöst werden, denn jegliche Prüfung der hier beschriebenen Art vermittelt eine Qualifikation für die spätere Berufstätigkeit. Wird der wissenschaftliche Charakter mündlicher Prüfungen im Hochschulstudium nicht eingelöst, wird dadurch automatisch die Qualifikationsvermittlung in Frage gestellt.

Ein im Hinblick auf das Aspirationsniveau – also den Anspruch, der wissenschaftlichen Prüfungen zu Grunde gelegt werden sollte - wichtiger Zusammenhang, der bisher noch nicht empirisch untersucht worden ist, dessen Untersuchung jedoch ein wichtiges, in Zukunft einzulösendes Forschungsdesiderat darstellt, soll in der folgenden Annahme formuliert werden:

Je höher das didaktische Niveau einer gegebenen Prüfung ist, je besser der Prüfer sich somit auf diese vorbereitet hat und die Situation zu antizipieren weiß, auf desto höherem fachwissenschaftlichen Niveau wird diese Prüfung ablaufen.

Hat ein Prüfer die Prüfung gut vorbereitet, so wird er in der Prüfungssituation weniger mit sich selbst zu tun haben und somit mehr und exaktere zielorientierte Fragen stellen. Kann er sich besser auf den Prüfling einstellen, so werden zwischenmenschliche Gesichtspunkte – wie persönliche Eigenheiten oder situationsbedingte Irritationen - (nahezu) keine Rolle spielen. Unter diesen Bedingungen kann die reine Erörterung der zu problematisierenden Sachfragen im Vordergrund stehen, was – gleichsam zwingend – zu einer Verbesserung der Leistungen des Prüfers führen muss. Die aufgezeigten Bedingungen führen ebenso zu einer Verbesserung der Leistungen des Prüflings - zu einer Verbesserung im notentechnischen Sinne, aber auch in seinen intellektuellen Leistungen während der Prüfung. Auch wenn dieser Anspruch sehr hoch erscheinen mag, so ist dennoch zu fordern, dass in mündlichen universitären Prüfungen – mehr als dies bisher der Fall zu sein scheint – auf die Erkenntnisleistung der Prüflinge abgehoben wird. Eine Prüfung ist dann optimal, wenn dem Prüfling in der Prüfungssituation selbst wissenschaftliche Erkenntnisse zuteil werden, die er vorher – auch während seiner Vorbereitung – in dieser Form noch nicht hatte. Erst dann kann eine Prüfung als vollkommen erfolgreich eingestuft werden. Für die Erzielung eines solchen Ergebnisses ist es zwingend notwendig, einen hohen Anteil an Transferfragen zu stellen: Nur Transferleistungen des Prüflings ermöglichen einen solchen Erkenntnisgewinn. Es ist daher zu fordern, Wissens- und Reproduktionsfragen auf ein Minimum zu beschränken und Transferleistungen die Priorität einzuräumen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass hier eine inhaltlich optimale Prüfung gemeint ist. Natürlich können von Seiten des Studierenden auch gute Noten erzielt werden, wenn ein hoher Anteil an Reproduktionsfragen vorliegt, und auch dann, wenn solche Erkenntnisse formuliert werden, die dem Prüfling in der Situation nicht neu sind.

2. Prüfer

2.1 Adressatenbezogenheit der Prüfung

Die Adressatenbezogenheit – also die Orientierung des Prüfers auf den Prüfling hin - stellt einen wesentlichen Gesichtspunkt von Prüfungen dar. Adressatenbezogenheit bedeutet, dass der Prüfer seinen Prüfling zuverlässig einzuschätzen weiß und dass er ihm mit seinen Fragen Bedingungen schafft, die dieser auch erfüllen kann. Wenn – wie in Kap. 1.3 formuliert – auch ein möglichst hohes wissenschaftliches Niveau der Prüfung angestrebt werden soll, müssen im Wesentlichen zwei Kardinalfehler von Seiten der Prüfer vermieden werden. Beide Fehler führen dazu, dass dem Prüfling der Blick auf die zu gebende Antwort verstellt wird und er somit persönlich, notentechnisch und wissenschaftlich unter seinen Möglichkeiten bleibt. Sinn der Prüfung ist es vielmehr, die Möglichkeiten des Prüflings optimal für die Prüfungssituation zu nutzen.

Ein Fehler, den Prüfer in mündlichen Prüfungen immer wieder machen, besteht darin, dass sie die inhaltlichen Grenzen dessen überschreiten, was Prüflingen fachlich zugemutet werden kann. Dieser Fehler kann darin begründet liegen, dass Prüfer in ihrem Fach so brillant sind, dass sie diese Brillanz auf die Prüflinge übertragen und von ihnen entsprechend hohe Leistungen verlangen. Ein solches Niveau kann jedoch kein Prüfling erbringen, ein solch hohes Niveau kann – bei allem Streben nach Erkenntnisgewinn auch während der Prüfung – von keinem Prüfling erwartet werden. Prüfer müssen somit sensiblisiert werden für den prinzipiellen Unterschied, der zwischen ihrer eigenen Forschungstätigkeit liegt, und demjenigen Niveau, das Studierenden in Prüfungen abverlangt werden kann. Ist Prüfern in ihrer Berufstätigkeit das Bewusstsein über diesen grundlegenden Unterscheid verloren gegangen, werden sie große Probleme haben, Prüfungen erfolgreich durchzuführen, dann werden sie in aller Regel als Prüfer bei ihren Studierenden nicht beliebt sein.

Der zweite grundlegende Fehler, der Prüfern im Hinblick auf die Adressatenbezogenheit unterlaufen kann, ist derjenige, Fragen derart unklar, obskur, verklausuliert, indirekt bzw. „langatmig“ zu stellen, dass der Prüfling daraus nicht ersehen kann, welche Fragestellung der Prüfer ausdrücken will, also worauf er hinaus möchte. Die einzige Möglichkeit des Prüfers, einem solchen Fehler vorzubeugen, ist diejenige, sich äußerst sprachbewusst zu verhalten, also zu versuchen, die eigenen Fragen kurz und prägnant sowie logisch und inhaltlich eindeutig zu stellen.

Gesichtspunkte wie die hier beschriebenen, die sich sich beliebig ausweiten ließen, machen deutlich, wie wichtig die Realisierung der Adressatenbezogenheit in mündlichen Prüfungen ist.

2.2 Interaktion mit dem Prüfling

Die Interaktion des Prüfers mit dem Prüfling hat so auszusehen, dass der Prüfling in dieser speziellen Situation als Einziger zur Geltung kommt. Prüfer haben sich zu vergegenwärtigen, dass Prüfungen nicht dem Zweck dienen können, ihre eigenen fachlichen Qualitäten deutlich werden zu lassen. Die Hauptperson ist der Prüfling – er allein.

In mündlichen Hochschulprüfungen kommt es immer wieder vor, dass ein Prüfer Monologe über sein Fach hält. Dies mag er nicht aus bösem Willen tun, sondern aus fachlicher Begeisterung heraus oder auch, um Eindruck auf den anwesenden Zweitprüfer zu machen. Wenn er so handelt, nimmt er dem Prüfling jedoch wichtige, für ihn essentielle Zeit, um sich zu profilieren. Zudem mag er den Prüfling mit seinem Verhalten aus dem Konzept bringen und bei ihm gar fachlich-inhaltliche Verwirrung auslösen. Dieses einfache Beispiel soll hier genügen, um zu zeigen, wie wichtig Selbstdisziplin für Prüfer in mündlichen Prüfungssituationen ist. Die Prüfer müssen sich zurückhalten; dem Prüfling gehört das Feld der Selbstdarstellung.

2.3 Fairness

Jeder Prüfer hat Macht. Mit dieser Macht kann er korrekt, sinnvoll umgehen, er mag sie aber auch weniger produktiv einsetzen. Dies tut er beispielsweise dann, wenn er – um bei dem vorigen Beispiel zu bleiben (vgl. Kap 2.2) – aus dem Grunde in Monologe ausbricht, um dem Prüfling dessen eigene Unzulänglichkeit in fachlicher Hinsicht deutlich werden zu lassen, um selbst als wissend zu erscheinen, den Prüfling jedoch als unwissend hinzustellen oder wenn er den Prüfling bewusst auf fachliche Aspekte anspricht, in denen dieser während der Prüfung bereits Unsicherheit gezeigt hat. Natürlich muss in einer Prüfung unbedingt angestrebt werden, zu einer adäquaten Note zu gelangen: Es kann nicht angehen, diskret die Unsicherheiten des Prüflings zu umschiffen, nur um ihm auf diese Weise eine gute – und dann unrealistische - Note geben zu können. Hierin kann nicht der Sinn von Prüfungen liegen. Er kann jedoch auch nicht darin liegen, sich von Seiten des Prüfers prioritär auf die Unsicherheiten des Prüflings zu konzentrieren, um ihn als schlecht darzustellen. Dieses Verhalten ist nicht objektiv, sondern schadet dem Prüfling.

Prüfungssituationen bieten immer dem Prüfer die vergleichsweise beste Ausgangslage für sein Verhalten. Der Prüfer ist offensiv, der Prüfling dagegen defensiv. Seine günstige Ausgangslage kann der Prüfer positiv, aber auch negativ nutzen. Für Prüfer ist es daher unerlässlich, sich streng in der Weise unter Kontrolle zu haben, dass sie jegliche menschliche Antipathie – wie auch jegliche Sympathie – aus der Prüfungssituation ausblenden: Prüfungen können weder der Ort sein, um jemandem aus Sympathie heraus einen Gefallen zu tun, noch derjenige, an dem man sich für im Unterricht aufgetretene interaktionale Probleme bzw. Missverständnisse revanchieren kann. Zwischenmenschliche Begegnungen – beispielsweise solche, in denen ein Studierender seinen Professor während einer Seminarsitzung kritisiert hat, was der Professor seinerseits nicht vergessen kann – sind unter allen Umständen vor der Prüfung zu besprechen und zu klären. In der Prüfung selbst können sie nicht kompensiert werden, hier dürfen sie keine Rolle spielen. Diese Zusammenhänge verdeutlichen, wie anspruchsvoll und komplex Prüfungssituationen in menschlicher Hinsicht für Prüfer sein können. Die Prüfungsdidaktik muss auch das Ziel verfolgen, Prüfungen von zwischenmenschlichen Problemfeldern zu befreien.

2.4 Ermunterung

Ermunterung ist dasjenige Element, von dem der Prüfling in psychologisch-mentaler Hinsicht geradezu lebt. In einer mündlichen Prüfungssituation, in der dem Prüfling keinerlei Reaktion von Seiten des Prüfers zuteil wird, wird dieser auf die Dauer verunsichert werden und bei weitem nicht zu dem Leistungen fähig sein, die er dann erbringen könnte, wenn er entsprechend ermuntert würde. Das Ziel eines objektiven Prüfers muss es somit sein, dem Prüfling die Möglichkeit zu geben, sich in einem positiven Umfeld zu profilieren. Dies geschieht in erster Linie durch Ermunterung.

Mit Ermunterung ist hier ein Bereich gemeint, der sich zwar auch verbal, jedoch prioritär nonverbal äußert. Verbal kann ein Prüfling ermuntert werden durch solche Bemerkungen wie “Das ist richtig“, „Das ist ein wichtiger Aspekt“, „Es ist gut, dass Sie diesen Gesichtspunkt noch weiter vertiefen“, „Ihre Bemerkung zeugt davon, dass Sie das Thema intellektuell durchdrungen haben“. Nonverbale Ermunterung kann im Wesentlichen geschehen durch Kopfnicken, durch zustimmende Grunzlaute und durch Lächeln. Ein Prüfer, der seinem Prüfling während dessen Ausführungen freundlich zulächelt, dabei hier und da nickt und ihm somit signalisiert, dass dieser sich adäquat zur Sache äußert und dass er selbst, der Prüfer, Interesse an den Ausführungen des Studierenden hat, motiviert diesen dazu, weiter zu sprechen und seine Gedanken qualitativ zu perfektionieren und auf diese Weise ein tieferes Reflexionsniveau zu erreichen. Auf Grund dieser Zusammenhänge – deren empirische Erhärtung ein dringendes Forschungsdesiderat darstellt, die jedoch auch ad hoc offenkundig sind – wird deutlich, dass ein Prüfer, der bestrebt ist, seinem Prüfling eine objektive Prüfungssituation angedeihen zu lassen, unbedingt darum bemüht sein wird, ihn zu ermutigen. Die Ermutigung, die auf den Prüfling eine starke Motivationskraft ausübt und dadurch auch fachlich zu besseren Ergebnissen führen wird, ist ein essentielles Kriterium einer für beide Seiten erfolgreichen Prüfung.

Nachdem wir uns mit der Sicht des Prüfers auf mündliche Prüfungen beschäftigt haben, argumentieren wir im Folgenden aus der Sicht des Prüflings.


3. Prüfling

3.1 Persönliche Einstellung

Über die wünschenswerte persönliche Einstellung des Prüflings ließe sich ein separater Artikel schreiben. Dieser in sich hochgradig komplexe Bereich wird daher im gegebenen Zusammenhang lediglich auf einige grundlegende Faktoren bezogen. Wir gehen hier von den jeweils wünschenswerten Komponenten aus.

Ein Prüfling, der eine mündliche Prüfung erfolgreich bestehen und sie mit einer guten Note abschließen möchte, sollte auf jeden Fall aktiv sein. Er muss den Eindruck erwecken – ob dies seiner Persönlichkeit entspricht oder nicht -, dass er ein dynamischer Mensch voller Spannkraft ist, der diese beiden Eigenschaften in der Vorbereitung der Prüfung und in ihrer Durchführung optimal zur Geltung bringen wird. Jegliche geistig-intellektuelle und aktionale Passivität bzw. der Eindruck davon sind unbedingt zu vermeiden. Mündliche Prüfungen sind ein Spiel. Dieses Spiel hat eigene Rituale. Die Zurschaustellung von Aktivität ist eines davon.

Wie nervös und angstbeladen ein Prüfling vor und in einer mündlichen Prüfung auch sein mag - er muss unter allen Umständen vermeiden, diese Angst zu zeigen: Angstfreies Agieren ist für das Bestehen der Prüfung eine conditio sine qua non. Psychologisch ist es dabei am besten, wenn der Prüfling davon ausgeht, dass der Prüfer ihm wohlgesonnen ist. Ein Prüfling, der seinem Prüfer vertraut, wird bessere Leistungen erbringen als einer, der ihn argwöhnisch beäugt. Ob das angenommene Vertrauen gerechtfertigt ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist es, dem Prüfer Vertrauen entgegen zu bringen und daraus Selbstbewusstsein zu schöpfen.

Selbst wenn die Themen, die in der Prüfung behandelt werden, äußerst langweilig sind – ein Prüfling muss zur Schau stellen, dass er brennend an ihnen interessiert ist. Es gibt kaum etwas Schlimmeres als zu signalisieren, dass man sich mit einem Thema nur aus dem Grund beschäftigt habe, weil es vielleicht ein gutes Prüfungsthema sei bzw. weil sich seine Wahl nicht umgehen ließ. Intrinsisches Interesse am Thema zur Geltung zu bringen, ist essentiell für eine gute Prüfung. Psychologisch verhält es sich dabei so, dass dann, wenn ein Prüfling sich selbst gegenüber Interesse am Thema suggeriert, sich dieses Interesse bei ihm irgendwann auch tatsächlich einstellen wird.

Jeder Prüfling sollte eine mündliche Prüfung mit dem bestmöglichen Grad an Vorbereitung absolvieren. Aus Erfahrung kann davon ausgegangen werden, dass allenfalls 10% bis 20 % des gelernten Stoffes in einer mündlichen Prüfung verwendet werden können. Es wäre fatal für einen Prüfling, eine solche Erfahrung, die er auf dem Weg zur Abschlussprüfung gemacht hat, in der Weise zu interpretieren, sich in Zukunft schlechter vorzubereiten. Der viel beschworene „Mut zur Lücke“ kann dabei leicht der Weg ins Verderben sein. Eine sinnvolle Vorbereitung besteht darin, das Thema in seinen zentralen Aspekten grundlegend aufzuarbeiten und alle diejenigen Aspekte, die sachlich bzw. assoziativ an dieses Zentrum angelagert sind, zumindest so gut vorzubereiten, dass man zu allem etwas sagen kann.

Erfolgreich ablaufende mündliche Prüfungen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Spontaneität von Seiten des Prüflings aus. Er muss darauf achten, die Fragen des Prüfers ohne zu große Zögerlichkeit zu beantworten: Langes Überlegen, bevor man zur Antwort ansetzt, ist äußerst hinderlich. Viel besser ist es, mit der Antwort zu der gestellten Frage auch dann zu beginnen, wenn man noch nicht weiß, wie sie detailliert aussehen könnte, und man nicht einmal weiß, wie der nächste Satz sich gestalten wird. Erfahrungswerte zeigen auch hier, dass durch das Sprechen vermehrt Denkprozesse einsetzen, bei denen sich die Lösung, während man bereits in der mündlichen Ausführung begriffen ist, nach und nach herauskristallisiert: Man nähert sich von Satz zu Satz somit dem eigentlichen Ziel der Frage und beantwortet sie auf diese Weise oft besser, als wenn man zunächst lange gezögert und dadurch Unsicherheit vermittelt hätte. Überhaupt muss es für Prüflinge gelten, in mündlichen Prüfungen viel zu sprechen und zu versuchen, das Wort immer wieder „an sich zur reißen“ – selbst dann, besonders der Prüfer zu langen Monologen tendiert. Höflichkeit ist gut, aber in dieser Situation muss der Prüfer unterbrochen werden; in dieser Situation muss der Prüfling sicherstellen, dass er Priorität hat, dass ihm hohe Sprechanteile zukommen. Dieser letzte Aspekt berührt bereits den folgenden Gesichtspunkt.

3.2 Interaktion mit dem Prüfer

Grundlegendes Interesse des Prüflings in einer mündlichen Prüfung muss es sein, das Interesse des Prüfers zu wecken. Dabei ist es dem Prüfer in der Regel nicht übel zu nehmen, wenn er bei der n-ten Behandlung ein und desselben Themas an ein und demselben Prüfungstag nicht immer ein gleich bleibendes Interesse an Prüfung und Thematik bekundet. Hiergegen muss der Prüfling jedoch ankämpfen. Eine Möglichkeit, das Interesse des Prüfers zu wecken, ist es, das entsprechende Thema auf originelle Weise anzugehen – auf eine Weise, die fachlich vertretbar ist, die sich jedoch vom main stream ein wenig unterscheidet und dadurch den Prüfer aufhorchen lässt. Anhand eines solchen „Aufmachers“ wird es für den Prüfling möglich sein, sich beim Prüfer aktiv Gehör zu verschaffen und dessen Interesse an der Thematik (wieder-)herzustellen. Ein Prüfer, der selbst interessiert ist, wird kaum „unbequeme“ Fragen stellen, er wird kaum schlechte Noten vergeben. Der Prüfling sollte also in dieser Hinsicht den Mut zu (begrenzter) Originalität an den Tag legen.

Ein wichtiger günstiger Gesichtspunkt für mündliche Prüfungen besteht aus der Sicht des Prüflings darin, fachliche Kompetenz mit Bescheidenheit zu kombinieren: Prüflinge, die auftreten, als wären sie bereits Professor, werden in der Regel keinen Erfolg haben, da sie in ihren Prüfern ein für sie selbst nachteiliges Konkurrenzverhalten auslösen. Legen sie jedoch fachliche Kompetenz an den Tag und können diese zwar mit sachlich begründetem Selbstbewusstsein, jedoch auch mit persönlicher Bescheidenheit paaren, so kann dies auf jeglichen Prüfer nur positiv wirken. Der Prüfling sollte somit die Rolle des Prüfers und dessen Expertentum nicht in Frage stellen; er sollte jedoch deutlich machen, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten als Studierender im Examen in der Lage ist, sich über das entsprechende Thema fundiert zu informieren und sich eine entsprechende Meinung zu bilden. Konkurrenz zum Professor aufzubauen, kann nur schädlich sein. Kooperation ist hier das Stichwort.

Nach der Behandlung von Prüfer und Prüfling und ihren verschiedenen Rollen während der Prüfung wird nunmehr auf den Gesichtspunkt der Benotung eingegangen.

4. Benotung

4.1 Angemessenheit

Wir gehen davon aus, dass jeder Prüfer bestrebt ist, seine Prüflinge angemessen zu benoten, und wollen uns hier mit dem Phänomen beschäftigen, dass Prüflinge in einer gegebenen Prüfungssituation nicht die Leistung erbringen, die sie zuvor im Unterricht gezeigt haben und die ihnen auf Grund dessen von dem Prüfer zugetraut wird. Wenn man zugrundelegen kann, dass eine suboptimale Leistung nicht auf unzureichender Vorbereitung beruht, sondern eher auf andere Faktoren zurückgeht wie beispielsweise prüfungsbedingte Nervosität und damit verbundene Unkonzentriertheit, sollte der Prüfer darüber nachdenken, ob er diesen Grund nicht als Entlastung des Prüflings ins Felde führt – nach der juristischen Maßgabe „in dubio pro reo“. Eine solche Maßnahme ist jedoch nur unter der Bedingung möglich und ratsam, dass es sich lediglich um eine einzelne minder starke Leistung handelt. Erbringt ein Prüfling in mehreren Teilprüfungen solche Leistungen, die deutlich unter dem erwarteten Niveau liegen, dann muss davon ausgegangen werden, daß sein Leistungspotential niedriger ist, als ihm zuvor zugetraut wurde.

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang also, die Angemesenheit der Notengebung nicht nur und auschließlich auf fachliche Aspekte zu beziehen, sondern auch in diesem Punkt die Persönlichkeit des Prüflings miteinzubeziehen.


4.2 Der Grat zwischen Strenge und „Menschlichkeit“

Noten stellen Qualifikationsmaßstäbe dar; mit Hilfe von Noten werden Berufs- und letztlich auch Lebenschancen verteilt. Noten müssen aus diesem Grunde möglichst objektiv, gerecht und adäquat sein; sie dürfen jedoch nicht auf „unmenschliche“ Art und Weise vergeben werden. Umgekehrt dürfen sie jedoch auch nicht mit einer Haltung der Gleichgültigkeit und Undifferenziertheit vergeben werden – nach dem Motto „Alle Prüflinge bekommen sowieso eine Zwei. Eine gewisse Strenge in der Notengebung ist nicht nur nicht vermeidbar – sie ist sogar wünschenswert. Nur durch eine gewisse Strenge ist gewährleistet, dass Prüfer und Prüflinge die Prüfungssituation ernst nehmen. Nur durch sie kommt es bei den Prüflingen zu extrinsischen Motivationseffekten. Bekommen Studierende, wie in manchen Fächern durchaus üblich, ausnahmslos Noten nur aus einem begrenzten Bereich der Skala – beispielsweise von 1,3 bis 2,3 - , so lässt sich bei den Prüflingen keine Motivation generieren. Plädiert wird hier somit für die volle Ausnutzung der Notenskala. Dabei ist es ebenso „unmenschlich“ – weil ungerecht und unfair, beispielsweise auf Grund einer Gleichgültigkeitshaltung der Prüfer -, für eine mit Mängeln behaftete Leistung ein Befriedigend oder gar Gut zu geben, wie für eine sehr gute Leistung nur ein Gut zu erteilen. „Menschlichkeit“ sollte dagegen dann gezeigt werden, wenn mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass der Prüfling „einen schlechten Tag“ hatte. Dann sollte – auf der Basis unserer Angemessenheitsforderung (vgl. Kap. 4.1) – zu Gunsten des Prüflings entschieden werden. Allgemein jedoch sollte „Menschlichkeit“ in der Prüfung mit dem Phänomen der Gerechtigkeit gleichgesetzt werden.

4.3 Eine Eins nur für absolute Perfektion?

Die von uns geforderte Gerechtigkeit ist nicht in der Weise zu verstrehen, dass man als Prüfer die Leistung des Studierenden ausschließlich quantifiziert – man muss sie auch qualifizieren. So kann es beispielsweise nicht angehen, dass einem Prüfling, der auf sehr komplexe Fragen sehr gut geantwortet, weitere Beispiele eingebracht, assoziativ Gedanken und Gedankengänge weiterentwickelt hat und dabei zu neuen Ergebnissen und neuen Erkenntnissen (jeweils in Bezug auf seinen Bildungshorizont und die realistischen Erwartungen des Prüfers bezogen) gelangt ist, jedoch eine sekundäre Frage überhaupt nicht beantworten konnte, die verdiente Eins nicht gegeben wird. In diesem Falle sollte er die optimale Note dennoch bekommen. Wichtig ist somit, dass die Prüfer sich zur Erzielung eines Gesamturteils über eine mündliche Prüfung sowohl die quantitativen als auch die qualitativen Aspekte der gestellten Fragen bzw. der diskutierten Problempunkte vor Augen führen. Eine reine Quantifizierung kann hier nicht zu realistischen und gerechten Ergebnissen führen. Auch diese Abwägung verlangt von den Prüfern ein Bewusstsein über komplexe Problemzusammenhänge; auch diese Einschätzung macht ihre Verantwortung als Prüfer aus.


5. Abschließende Bemerkungen

In dem vorliegenden Beitrag ist deutlich geworden, dass mündliche Prüfungen ein hochgradig komplexes Faktorencluster darstellen. Wir haben versucht, diese hohe Komplexität in vier Bereiche aufzuteilen – Fachlichkeit, Prüfer, Prüfling, Benotung – und sie somit beschreibbar und einschätzbar werden zu lassen. Dabei ist von Bedeutung, dass die hier dargestellten Zusammenhänge für mündliche Prüfungen insgesamt gelten: Im Fachstudium in den unterschiedlichen Studiengängen ebenso wie in Sprachprüfungen an der Hochschule. Ob wir es nun mit einer mündlichen Prüfung im Staatsexamen des Französichen für Lehrämter, im Diplomstudiengang Biologie, im Magisterstudiengang Soziologie, im Master-Studiengang International Economics oder in einer sprachorientierten UNIcert®-Zertifikatsprüfung (vgl. auch Voss 1999) zu tun haben – die hier dargestellten Phänomene sind im Wesentlichen die gleichen. Dieses Faktum sollte sich jeder Prüfer und jeder Prüfling vor Augen halten, denn es handelt sich hier um übergreifende Gesichtspunkte, die auf unterschiedliche Typen mündlicher Prüfungen übertragbar sind, was ihre Bedeutung unterstreicht. Daraus wird jedoch auch eine Chance für Studierende deutlich: Sie können sich in den unterschiedlichsten Bereichen umfangreiche Prüfungspraxis verschaffen, um dadurch Prüfungsroutine zu bekommen: Je mehr mündliche Prüfungen sie absolviert haben, desto besser wird die wichtige Prüfung werden, die den Abschluss des Studiums oder eine bedeutsame Teilprüfung darstellt. Es ist somit aus der Sicht der Studierenden sinnvoll, sich durchaus auch im Sprachbereich – beispielsweise an den Sprachenzentren der Universitäten und Fachhochschulen (vgl. auch Tinnefeld 2004) – mündlichen Prüfungen zu unterziehen, um damit das eigene Verhalten und die eigenen Reaktionen auf das Verhalten des Prüfers zu testen, einzuschätzen und zu optimieren, um dann in ihrer jeweiligen Abschlussprüfung bzw. den entscheidenden Teilprüfungen ihrer Studiengänge bessere, ansprechendere Leistungen zu erzielen und das Studium erfolgreicher abzuschließen.



Literatur

Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg.) (2004),
Die Internationale Hochschule: Deutsch und Fremdsprachen. Ein Handbuch für Politik und Praxis. Bd. 8. Bielefeld.





Eggensperger, Karlheinz / Johann Fischer (1998), Handbuch UNIcert. Bochum.

Nübold, Peter (Hrsg.) (2001), Fremdsprachen an Hochschulen: Was ist hochschulspezifische Fremdsprachenausbildung? Dokumentation der 20.Arbeitstagung 1998. Bochum.

Tinnefeld, Thomas (1998), Französische Prüfungsaufgaben im UNICERT – ein vergleichender Überblick. In: Eggensperger / Fischer, 249-265

Tinnefeld, Thomas (2001), Fachsprachliche Klausuren im UNIcert-Kontext – unter besonderer Berücksichtigung des Prüfungsteils ‚Leseverstehen‘. In: Nübold, 279-290

Tinnefeld, Thomas (2002), Prüfungsdidaktik. Zur Fundierung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin – am Beispiel der modernen Fremdsprachen. Aachen.

Tinnefeld, Thomas (2004), Sprachlehrangebote für deutsche Studenten und Hochschullehrer. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hrsg), 106-112





Voss, Bernd (1998): Das UNIcert-Konzept oder Auf dem Weg zu einheitlichen Prüfungsanforderungen im universitären Fremdsprachenunterricht. In: Eggensperger / Fischer, 3-20.

[1] Vgl. komplementär zu schriftlichen Prüfungen auch Tinnefeld (1998) und Tinnefeld (2001).